Wolfgang Kubicki

Wolfgang Kubicki und Sebastian Czaja, FDP-Spitzenkandidat in Berlin, im Interview mit der Berliner Morgenpost: "Mit uns wird es definitiv keine Steuererhöhungen geben"

Herr Kubicki, wir haben – nach den persönlichen Fehlern der Spitzenkandidaten, nach der Flut – jetzt mit Afghanistan das nächste Wahlkampfthema. Was angesichts von Afghanistan passiert ist, ist das Staatsversagen? 

Wir erleben in vielfältiger Weise, dass Menschen zu Recht ein Staatsversagen beklagen, sowohl rund um die Ereignisse in Afghanistan, als auch in vielen anderen großen Politikfeldern. Nehmen wir zum Beispiel das Thema der Bekämpfung der Pandemie. Mittlerweile äußern sich auch Wissenschaftler zur Frage, warum wir in den vergangenen 18 Monaten keine ordentliche Datenerhebung gemacht haben, um genau zu wissen, wo wir zielgenau ansetzen müssen, um mit der Pandemie fertig zu werden. Wir haben Staatsversagen bei der Flutkatastrophe – nicht nur, was die Warnung der Bevölkerung angeht, sondern nach wie vor fühlen sich die Menschen alleingelassen. Viele freiwillige Helfer sind vor Ort, aber das, was man an staatlicher Hilfe erwartet, gibt es nur unzureichend. Die Afghanistan-Politik ist eine komplette Katastrophe - nicht nur der deutschen Außenpolitik, sondern vor allen Dingen auch des Vertrauens in das, was wir den Afghanen 20 Jahren lang versprochen haben, nämlich zur nation building, also Nationsbildung beizutragen. Ich war völlig überrascht davon, dass der amerikanische Präsident Joe Biden jetzt erklärt hat, nation building sei nie der Auftrag, nie die Mission gewesen, sondern es sei immer nur die Mission gewesen, Terroranschläge von Afghanistan aus zu verhindern. Zeitgleich hat die Bundeskanzlerin erklärt, Auftrag der Deutschen sei gewesen, Nationsbildung zu betreiben. Wir wollten doch die Demokratie nach Afghanistan bringen. Das ist komplett gescheitert. Und was wir jetzt erleben bei der Evakuierung von Deutschen und auch von Menschen, die uns dort vor Ort geholfen haben, ist eine Katastrophe. Ohne unsere amerikanischen Freunde wären wir gar nicht in der Lage gewesen, die Evakuierung zu organisieren. Die Tatsache, dass es so spät geschieht, ist ein Versagen erster Ordnung.

 

Ist das Thema „nation building“ mit Blick auf Mali und andere Einsatzorte damit gescheitert?

Zumindest muss man erkennen, dass es nicht automatisch der richtige Ansatz ist – weder in Syrien, dem Irak oder Mali. Wir müssen begreifen, dass wir anderen Völkern in anderen Ländern nichts aufbürden dürfen, was sie selbst nicht wollen. Insofern hat Joe Biden ja recht: Warum sollen amerikanische Töchter und Söhne sterben, wenn die Afghanen selbst nicht bereit sind, für ihr Land zu kämpfen? Das gilt aber überall. Wir müssen von unserer bisher hoch moralischen Position, die wir weltweit einnehmen, wieder übergehen zu einer pragmatischen Politik. Man muss im Zweifel auch mit Despoten reden, um zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Wenn wir die heutige moralische Position schon in den 70er-Jahren eingenommen hätten, hätten wir niemals die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die OSZE bekommen. Die westliche Staatengemeinschaft, deren Teil wir sind, muss auch mit den Mullahs in Teheran reden. Denn überwiegend der Iran und Pakistan werden jetzt mit der Flüchtlingsfrage aus Afghanistan konfrontiert. Wenn wir wollen, dass diese Länder die Flüchtlinge auffangen, müssen wir mit ihnen sprechen. Wir müssen diesen pragmatischen Schritt gehen oder es fällt uns dieses moralische Überlegenheitsgefühl erneut auf die Füße. 

 

In fünf Wochen findet die Bundestagswahl statt. Wenn das nicht so wäre, würden Sie jetzt den Rücktritt von Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer fordern?

Ich habe die Rücktritte schon gefordert, weil ansonsten das Prinzip der konsequenten Verantwortungslosigkeit mit der Behauptung „Wir übernehmen Verantwortung“ Einzug in die deutsche Politik halten würde. Aber es ist ja nicht nur ein Versagen von Kramp-Karrenbauer und Maas, auch Bundesinnenminister Horst Seehofer und das Bundeskanzleramt haben versagt. Für die Aufsicht über die Geheimdienste ist nämlich das Bundeskanzleramt zuständig. Da muss man sich schon fragen, wofür geben wir für unsere Geheimdienste Milliardenbeträge aus.

 

Müssen wir die afghanischen Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen oder sollten sie in den Nachbarländern bleiben?

Die Idee der Flüchtlingskonvention ist, dass Flüchtlinge meist in den Nachbarländern bleiben und dass sie deshalb, wenn sich die Kriegslage, die wir in Afghanistan gar nicht haben, stabilisiert hat, dann wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Allerdings fehlt mir die Fantasie, wie man den Menschen, die vor 20 Jahren geboren worden und in Afghanistan aufgewachsen sind, die Frauenrechte kennen, zur Schule gegangen sind und studiert haben, nun erklären soll, dass sie die nächsten 20 oder 30 Jahre ihres Lebens unter dem Taliban-Regime zubringen sollen. Meinen Sie, dass die Menschen mit Optimismus in Afghanistan bleiben oder zurückkehren? Eine Menge Menschen in Afghanistan sind wirklich bedroht. Wir haben deshalb zunächst eine Verpflichtung, alle diejenigen, die bedroht sind, aus dem Land zu bringen. Und wir müssen auch mit den Taliban reden. Und selbstverständlich müssen wir all jene, die für Deutschland und deutsche Stellen gearbeitet haben, schützen. Es geht um 10.000 bis 12.000 Menschen, die wir in Gefahr gebracht haben, und jetzt sind wir verantwortlich dafür, dass die Gefahr minimiert wird. Das ist eine absolute Verpflichtung, nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich. Ich glaube nicht, dass die Menschen im Iran oder in Pakistan bleiben, denn dort sind sie nicht willkommen. Pakistan baut schon Stacheldrahtzäune. Die Flüchtlinge aus Afghanistan werden sich auf den Weg machen – wir würden uns auch auf den Marsch machen, wenn wir in unserem Land keine Lebensperspektive hätten.

 

Vor allem Politiker der Union sagen: 2015 darf sich nicht wiederholen. Haben sie recht?

Geschichte wiederholt sich nicht so ohne weiteres. Und wir haben 2021 andere Bedingungen – die Syrer und Iraker, die gekommen sind, hatten Pässe, die meisten Afghanen haben dies nicht.  Der Weg von Afghanistan ist auch deutlich beschwerlicher als der Weg aus dem Irak oder aus Syrien. Wir brauchen eine Zuwanderungsperspektive für die Menschen, die Afghanistan verlassen müssen. Und deshalb müssen wir mit den neuen Machthabern in Kabul auch sprechen.

 

Wird das Thema die Wahl entscheiden?

Nein. Afghanistan wird die Wahl beeinflussen, aber nicht entscheiden. Andere Themen wie die Klima-Krise oder die Bewältigung der Corona-Krise spielen auch eine große Rolle. Warum können wir in der Pandemie etwa nicht so vorgehen wie Dänemark? Die Dänen haben alles wieder geöffnet, nachdem sie alle Menschen über 50 Jahre, die es wollten, geimpft haben, denn das sind die Altersgruppen, die schwerere Verläufe haben und höherer Wahrscheinlichkeit auch an Corona sterben. Aber bei allen anderen verläuft die Krankheit, wenn die Menschen überhaupt Symptome haben, weniger stark. Und damit belasten diese Menschen unser Gesundheitssystem nicht – diese Überlastung zu verhindern, war aber immer das erklärte Ziel der Bundesregierung. Dänemark hat also alle Maßnahmen aufgehoben. Wann ist das bei uns der Fall? Obwohl ich seit Monaten nachfrage, gibt es von der Regierung keine Antwort. Und selbstverständlich wird bei der Wahl die Frage eine Rolle spielen: Wie gehen wir mit dem Klimawandel um? Wie bekämpfen wir den Temperaturanstieg oder wie vermindern wir die CO2-Emissionen? Und vor allen Dingen: Wie können wir unter diesen Bedingungen den Wohlstand dieses Landes sichern? Denn eines kann ich sicher sagen: Die Menschen werden nicht bereit sein, über längere Zeit zu verzichten, Askese zu üben. Deshalb ist technischer Fortschritt viel wichtiger als die permanenten moralischen Appelle an die Verantwortung der Menschen, die Welt zu retten. 

 

Die FDP steht in Umfragen im Bund und Berlin sehr gut da, im Bund bei rund zwölf Prozent, in Berlin bei rund acht Prozent. Profitieren Sie vor allen Dingen von den enttäuschten CDU-Wählern?

Wir stellen fest, dass es zwischen der Union und uns kaum kommunizierende Röhren gibt. Wenn die CDU Stimmen verliert, profitieren wir nicht unbedingt davon. Interessanterweise gibt‘s die kommunizierenden Röhren zwischen den Grünen und der Union. Seitdem die Grünen den Eindruck erweckt haben, sie seien Heimat- und Naturburschen, finden sich auch viele Konservative bei ihnen wieder – und umgekehrt. Ich als Liberaler behaupte mal, wir haben es zugelassen, dass sich in der Union und der SPD früher auch sehr viele liberale Wähler getummelt haben. Und diese haben mittlerweile festgestellt, so liberal sind die Parteien gar nicht mehr und sind zu uns zurückgekehrt.  

 

Wie ist das in Berlin, Herr Czaja?

Sebastian Czaja: Für Berlin kann man festhalten, dass die Stimme für die Freien Demokraten die Stimme ist, die den Regierungswechsel möglich macht. In Berlin gibt es bei dieser Wahl jenseits von Rot-Rot-Grün Optionen, um in der Stadt eine Politik zu machen, die frei ist von Klassenkampf und vom Kulturkampf, die sich ausschließlich mit Problemlösungen auseinandersetzt. . Deshalb ist die Stimme für uns in Berlin immer eine Stimme, um den Regierungswechsel am 26. September zu ermöglichen.

Kubicki: Schauen Sie sich die jungen Menschen, die zwischen 17 und 24 Jahren alt sind, an. Nach den Umfragen liegt die FDP in dieser Altersgruppe hinter den Grünen an zweiter Stelle – und deutlich vor der Union. Das können also keine Unionswähler gewesen sein. Das sind Leute, die sich aus Überzeugung dazu entscheiden. Und das gilt übrigens auch für meine Generation 60 plus, die immer häufiger sagen:  Diese Union, die wir jetzt sehen, repräsentiert nicht mehr das, was wir für wichtig halten. Wie Wohlstand und Sicherheit gewährleistet werden durch die soziale Marktwirtschaft.

Czaja: In den letzten Monaten ist deutlich geworden ist, dass wir als FDP die unnachgiebige Anwältin für Grund und Freiheitsrechte sind – und das in einem Interessensausgleich mit dem Gesundheitsschutz und Hygienemaßnahmen. Wir haben zu keinem Zeitpunkt die Pandemie geleugnet, sondern immer sehr differenziert nach Lösungen gesucht.

 

Ein zentrales Thema im Wahlkampf ist die Wohnungs- und Mietenpolitik. In Berlin wird am 26. September auch über den Volksentscheid zu Enteignungen von Wohnungskonzernen abgestimmt. Ist das für Sie Klassenkampf?

Czaja: Enteignung ist nicht die Lösung. Und es ist Klassenkampf in einer Zeit, wo 200.000 Wohnungen gebraucht werden, nicht dafür zu sorgen, dass diese 200.000 Wohnungen gebaut werden, sondern 36 Milliarden Euro Steuergeld aufwenden zu wollen, um Enteignungen durchzuführen. Von diesen 36 Milliarden Euro könnten auf allen landeseigenen Grundstücken, die das Land Berlin besitzt, 217.000 neue Wohnungen gebaut werden. Und wenn auf das Problem der fehlenden Wohnungen nur die Antwort Enteignung gibt, dann ist das nichts anderes als das Spalten der Gesellschaft. Und zu keinem Zeitpunkt in unserer Geschichte waren Enteignung ganzer Branchen zielführend oder sinnvoll. Schlimmer noch: Damit schafft man ein total investitionsfeindliches Klima. Dann gibt es keine Verlässlichkeit mehr für den Wirtschaftsstandort Berlin-Brandenburg.

 

Schauen Sie als Bundespolitiker auf die Berliner Diskussion über Mietendeckel oder Enteignungen?

Kubicki: Auf der Bundesebene spielt das Thema Wohnen und Mieten vor allem in den Ballungszentren eine Rolle. Nun besteht das Land nicht nur aus Ballungszentren, sondern auch aus vielen Flächenländern. Wenn wir als Liberale angefeindet werden, weil wir dafür verantwortlich seien, dass es keine Sozialwohnungen mehr gibt, dann erinnere ich daran: Wer hat eigentlich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften verkauft? Die Wohnungen, die in Berlin oder Kiel oder anderswo vorhanden waren? Das waren vor allem Sozialdemokraten und Grüne, denn sie wollten ihre Haushalte sanieren. Und weil ihnen klar war, dass sie mit den Mieteinnahmen, die sie erzielen, nicht in der Lage sind, eine ordentliche Bausubstanz zu gewährleisten. Das ist der Hintergrund. Das, was wir brauchen, ist mehr Wohnraum. Und den bekommen wir nicht durch Enteignung oder Eigentümerwechsel, sondern dadurch, dass wir Bauflächen zur Verfügung stellen. Dass wir vorhandene Häuser aufstocken, dass wir Bauen leichter machen. Durch die überbordenden rechtlichen Vorgaben wird das Bauen außerdem immer teurer

 

Mit den Maßnahmen gegen den Klimawandel wird das Bauen künftig eher noch teurer als billiger?

Kubicki: Wir müssen kreative Lösungen finden. In München könnte man das Wohnungsproblem lösen, wenn man die Häuser, dort, wo es geht, um ein Stockwerk aufstocken würde. Aber das wird nicht gemacht, weil man aus traditionellen Gründen dort nicht höher bauen will.

 

Herr Czaja, mit welchen Thema wollen Sie in diesem Jahr bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin punkten? Vor fünf Jahren war Ihr großes Thema der Flughafen Tegel….

Czaja: Es gibt mehrere Themen, die in Berlin von größter Relevanz sind. Wir brauchen eine Neubauoffensive – wir wollen 200.000 Wohnungen bauen statt enteignen. Wir brauchen dringend eine Verwaltungsmodernisierung und mehr Tempo in der Verwaltung, was nämlich Menschen und Wirtschat entlastet. Und wir brauchen darüber hinaus in der Bildungslandschaft einen Neuanfang. Wir wollen Kitas zu echten Bildungseinrichtungen machen und jedem Kind die Chance auf echte Bildung geben. Es geht in Berlin um das nächste Jahrzehnt und damit um eine ziemlich grundsätzliche Haltungsfrage, welche politische Richtung man möchte. Deshalb ist das am 26. September in Berlin auch eine Richtungswahl über die Frage: Gehen wir die Herausforderungen, die aus der Corona-Pandemie resultieren, an? Will man die vielen Stresssituationen, die Rot-Rot-Grün in der Stadt in den letzten fünf Jahren geschaffen hat, weiter forcieren? Ich denke da an die Spaltung der Gesellschaft, an die Konflikte, die Rot-Rot-Grün zwischen Vermietern und Mietern, zwischen Fußgängern und Radfahrern, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geschaffen hat. Ich könnte das beliebig fortsetzen. Wer diesen Stress und Druck nicht mehr will, der muss sich für einen politischen Richtungswechsel entscheiden.

 

In Sachsen-Anhalt wird es bald eine Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP geben. Ist das auch ein Modell für die nächste Bundesregierung?

Kubicki: Es ist auf jeden Fall ein Modell. Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist äußerst gering, weil ich nicht glaube, dass die Sozialdemokraten zu einer erneuten Koalition mit der CDU bereit wären. Viellicht Olaf Scholz und die Hälfte der SPD-Bundestagsfraktion, nicht aber die Partei.

 

Also eher eine Ampel?

Kubicki: Nein. Ich halte eine Jamaika-Koalition für am wahrscheinlichsten, wenn es nicht für eine Zweier-Koalition reicht. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass die Union bei der Bundestagswahl, in welcher Größenordnung auch immer, vorne liegen wird. Und weil die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Politik in allen drei Parteien am besten ausgeprägt ist, gehe ich von einer Jamaika-Koalition aus. Das war schon 2017 so, das ist auch jetzt so.

 

Kann sich 2017 dann nochmal wiederholen im Sinne von Christian Lindners Worten: Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.

Kubicki: Das kann ich mir dieses Mal nicht vorstellen, denn wir haben heute andere Voraussetzungen als 2017. Außer bei der FDP wurden die Führungspersönlichkeiten bei Union und Grünen mittlerweile ausgetauscht. Ich habe mit Robert Habeck bereits eine Koalitionsvereinbarung ausgehandelt, die in Schleswig-Holstein, die bis heute gut funktioniert. Manchmal ruckelt es ein bisschen, aber sie funktioniert gut. Außerdem hat es in den letzten vier Jahren im Bund eine Reihe von persönlichen Begegnungen gegeben, die so etwas wie ein Grundvertrauen geschaffen haben. Sonst hätte es auch keine Verfassungsänderung im Bereich der Bildungsfinanzierung gegeben. Wir haben ja zum Beispiel auch einen gemeinsamen Vorschlag bei der Wahlrechtsreform erarbeitet. 

 

Wie sieht das für Berlin aus? Wollen Sie eine Deutschland-Koalition in Berlin, Herr Czaja?

Czaja: In Berlin ist eine Deutschland-Koalition unter Führung der SPD für mich vorstellbar – und die Stimme für die FDP dann auch die Stimme für den Regierungswechsel. Beim Thema Enteignungen sind sich SPD, CDU und FDP jedenfalls schon einmal einig – wir sagen konsequent, Enteignungen wird es mit uns nicht geben.

Kubicki: Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit: Wir als FDP sind für die Randbebauung von Tempelhof, auch die SPD ist dafür. Ebenso wie der Berliner CDU.

 

Dann haben wir schon mal zwei wichtige Punkte für die Koalitionsverhandlungen…

Czaja: Es geht um die großen Linien. Wie Enteignungen oder den Neubau von 200.000 Wohnungen.

 

Was sind denn die großen Linien auf Bundesebene?

Kubicki: Ich kann das jetzt nur für die FDP sagen. Es wird mit uns definitiv keine Aufweichung der Schuldenbremse geben, und es werden mit uns definitiv auch keine Steuererhöhungen geben. Über alles weitere reden wir dann. Unser Wunsch ist es, zu Steuererleichterungen zu kommen, mit der Perspektive, das Wirtschaftswachstum wiederzubeleben. Denn je stärker die Wirtschaft wächst, desto besser ist es für das Gemeinwesen. 

 

Angenommen, die FDP kommt im Bund und in Berlin in die Regierung. Wollen Sie dann werden?

Kubicki: Ich bin mit dem glücklich, was ich bin. Ich liebe meinen Job als Bundestagsvizepräsident. Ich möchte gerne die Bauten, die ich jetzt begonnen habe, zu Ende bringen, damit das nicht auf halber Strecke liegen bleibt. Aber entscheidend ist immer wieder, dass die Zukunft nicht von individuellen Wünschen abhängt. Entscheidend muss für meine Partei sein: Was ist wichtig dafür, dass wir in vier Jahren nicht vor einem Scherbenhaufen stehen, sondern auf Bundesebene erneut gewählt werden? Dieser Maxime muss sich alles andere unterordnen.

Czaja: Die FDP entscheidet das gemeinsam – und nach der Wahl. Wir haben allerdings kein Geheimnis daraus gemacht, dass uns bestimmte Themen besonders wichtig sind: Wirtschaft, Innovation und Digitalisierung sind für uns zum beispiel von besonderer Bedeutung. Es ist wichtig, mit dem Mittelstand, dem Handwerk, der Bauwirtschaft tatsächlich belastbare Verabredungen für den Konjunkturaufschwung zu treffen – gemeinsam, nicht wie unter Rot-Rot-Grünen gegeneinander. Wir haben immer an der Seite der Menschen gestanden, die jeden Morgen aufstehen und den Laden hier zusammenhalten, der arbeitenden Mitte. Und wir werden auch in Zukunft an ihrer Seite stehen.

Kubicki: Um nicht missverstanden zu werden: Auch auf Bundesebene sind uns Politikfelder wichtig. Das war ja der Grund, warum Jamaika damals geplatzt ist, weil die Kanzlerin meinte, man könne uns mit Dienstwagen abspeisen. Wir wollten schon 2017 ein eigenes Digitalministerium schaffen. Dann ergibt es auch Sinn, diese Position mit einer Freien Demokratin oder einem Freien Demokraten zu besetzen. Und auch 2017 wollten wir in der Finanzpolitik massiv mitsprechen – das wollen wir mit Christian Lindner jetzt auch wieder. Warum? Weil wir dokumentieren wollen, dass all das, was wir versprochen haben, auch finanzierbar ist. Aber alles andere ist offen und muss auch Gegenstand von Verhandlungen bleiben.