Wolfgang Kubicki

WELT-Interview: „Hundsmiserabel, wir haben seit der ersten Welle nichts dazugelernt“

Vor ziemlich genau einem Jahr ist Deutschland in den Lockdown gegangen. Wie bewerten Sie denn das bisherige Krisenmanagement der Bundesregierung?

Ziemlich miserabel. Denn wir haben seit der ersten Welle nichts dazugelernt. Ich kann mich erinnern, dass Jens Spahn mal erklärte, wenn wir die Corona-App haben, dann können die Gesundheitsämter wieder die Kontaktnachverfolgung machen. Ein wesentlicher Schritt zur Eindämmung der Pandemie. Dann fehlten die FFP2-Masken, und die Altenpflegeheime wurden nicht ausreichend geschützt. Dann die Impfstoffbeschaffung. Hundsmiserabel. Bis heute keine Impfstrategie, von der Teststrategie gar nicht zu reden. Also alles, was wir als wesentliche Maßnahme hätten ins Werk setzen können, um die Pandemie zu bewältigen, den Lockdown zu beenden, ist nicht gelungen.

 

Ist denn Jens Spahn noch der Richtige für den Job als Gesundheitsminister?

Das ist die Frage, die die Bundeskanzlerin beantworten muss, aber die Tatsache, dass die Union in den Meinungsumfragen im freien Fall ist, hat auch was damit zu tun, dass offensichtlich die Menschen nicht mehr glauben, dass Jens Spahn und Peter Altmaier Personen sind, die Vertrauen erwecken können, mit der Krise fertigzuwerden. Die Enttäuschung über den Gesundheitsminister und den Wirtschaftsminister ist riesengroß.

 

Aber von der Kanzlerin hört man ja eigentlich kaum Kritik. Also im Kabinett ist man anscheinend der Meinung, man hat alles richtig gemacht oder fast alles richtig gemacht in diesem einen Jahr Pandemie.

Ja, das trifft für alle Phasen von langen Regierungszeiten zu. Die Kanzlerin hat sich eingebunkert. Das hatten wir in der Vergangenheit auch schon bei Helmut Kohl und anderen. Da werden kritische Stimmen schon gar nicht mehr zugelassen. Man umgibt sich mit den Menschen, die einen bestätigen. Aber wir sehen ja, dass Deutschland bei der Bekämpfung der Pandemie, bei der Verkürzung des Lockdowns, bei dem Wiederöffnen des normalen Lebens ganz weit nach hinten gefallen ist. Und das ist das, was mich besonders berührt. Bei uns werden jeden Tag Existenzen aufs Spiel gesetzt, Menschen sind in Verzweiflung. Hoteliers und Gastronomen wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll. Selbstständige Künstler können nicht auftreten, und ich kriege jeden Tag Anrufe, wo mir das mitgeteilt wird. Dass es gar nicht ums Geld geht, sondern darum, dass sie ihr Publikum nicht mehr haben und vielleicht später für Rollen nicht mehr geeignet sind. Also, all dies trifft Hunderttausende von Menschen in ihrer Existenz, mental und ökonomisch. Und dass wir so weit noch im Lockdown sind, hat was damit zu tun, dass die Mittel zur Bekämpfung wie Testen und Impfen nicht ausreichend zur Verfügung gestellt worden sind. Das heißt, die Verlängerung des Lockdowns trifft diese Bundesregierung in erster Linie in ihrer Verantwortung.

 

Und nun noch der Impfstoff von AstraZeneca. Wie bewerten Sie denn diesen Impfstoff?

Na ja, ich bin weder Mediziner noch Pharmakologe. Ich kann die Infos selbst nicht bewerten, aber die Tatsache, dass die Europäische Arzneimittelbehörde ihn zugelassen hat, heißt, er ist jedenfalls relativ ungefährlich und geeignet, um mit dem Virus fertigzuwerden. Der wird ja auch millionenfach in Großbritannien, in den USA, in Australien, Kanada, selbst in europäischen Ländern, auch jetzt in Österreich, verimpft. Und ich frage mich schon, warum unsere Bürokratie so tut, als seien wir in einem Normalzustand. Wir sind nicht in einem Normalfall der Zulassung von Arzneimitteln oder Impfstoffen, sondern wir sind in einer Pandemie, die bekämpft werden muss. Deshalb sind auch Nebenwirkungen wie die, die jetzt aufgetreten sind, in Relation zu setzen zu dem, was passiert, wenn man den Impfstoff nicht verabreicht. Ich glaube, dass es eine Fehlentscheidung war, den Impfstoff kurzfristig auszusetzen, die Akzeptanz damit zu verringern. Denn entscheidend ist jeder Tag. Je mehr wir jeden Tag impfen, desto schneller sind wir mit dem Lockdown fertig.

 

Im Moment sieht aber allerdings alles nach einer Verlängerung des Lockdowns aus. Die nächste Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin findet am Montag statt. Und es scheint so, als finden wir gar keinen Ausweg, denn die Zahlen sinken nicht, sie steigen jetzt wieder. Mit den Impfungen kommen wir auch nicht voran. Irgendwie treten wir auf der Stelle, oder?

Ja, das ist das Interessante. Wir haben ein Jahr Pandemie, und das Robert Koch-Institut hat noch keine Erkenntnisse, wo man sich wirklich infiziert, wie die Infektionswege sind, ob die Geimpften und die Genesenen nicht mehr infektiös sind und deshalb auch nicht mehr daran gehindert werden können, ihr normales Leben zu führen. Also, dass wir uns um alle möglichen Dinge kümmern und nicht um die Frage eines Erkenntnisgewinns bei dem Virus und seiner Verbreitungswege - das macht mich betroffen, das muss uns zu denken geben. Und das ist eben der Grund dafür, warum wir so schnell wie möglich so viel wie möglich Impfstoff an die Menschen bringen müssen. Dass wir jetzt darüber nachdenken, die Hausärzte einzubeziehen, ist so ein Treppenwitz der Geschichte. Auf die Idee hätte man im November schon kommen können, ganze Logistikpläne erstellen können. Ich habe früher gedacht, Deutschland sei ein Land, wo organisatorisch immer alles funktioniert. Und jetzt stelle ich fest, in höchster Stelle funktioniert nahezu gar nichts. Und das macht mich wirklich betroffen. Es macht uns lächerlich und macht mich betroffen.

 

Blicken wir noch schnell auf das Thema Urlaub. Das halten Sie vielleicht für genauso lächerlich. Urlaub auf Mallorca ist nämlich möglich. Urlaub in Deutschland nicht. Was erwarten Sie von der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz in Sachen Osterurlaub?

Also ich halte es nicht für lächerlich, sondern im Gegenteil, wenn Menschen in den Urlaub wollen, ist das ihr gutes Recht. Erklären, Mallorca sei kein Krisengebiet mehr, aber fahrt bitte nicht dahin? Ist doch auch absurd. Also, die Menschen sozusagen dazu aufzufordern, ihr Leben anders zu gestalten, als sie es wollen. Wenn es nicht nötig ist, halte ich es für unsinnig. Aber die Tatsache, dass man in Deutschland keinen Urlaub machen kann, dass man an der Nord- und Ostseeküste nicht in Hotels gehen kann, ist untragbar. Das können Sie auch keinem Menschen mehr erklären. Wenn wir nach den RKI-Studien wissen, dass gerade im gastronomischen Bereich und im Hotelleriebereich, wenn die Hygieneregeln eingehalten werden, das Infektionsrisiko äußerst gering ist. In Nordfriesland und Dithmarschen, ich komme ja aus Schleswig-Holstein, haben wir Inzidenzzahlen von unter 35. Da zu erklären, der Urlaub darf nicht stattfinden, ist absurd!

Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch. Wünsche noch einen schönen Tag. Vielen Dank!

 

Das Gespräch führte Fanny Fee Werther