Nicht noch einmal mit den Grünen regieren
Der unbeteiligte Dritte reibt sich die Augen, wenn er sich einige Meldungen der vergangenen Tage aus dem politischen Berlin anschaut. Da werden zwischen Union und Grünen mittlerweile in einer bemerkenswerten Offenheit koalitionsstrategische Bande geknüpft, obwohl die Bundestagswahl erst im Herbst des kommenden Jahres stattfindet. Nachdem der grüne Bundeswirtschaftsminister im Plenum des Deutschen Bundestages nicht nur ohne Absprache mit den Koalitionspartnern ein neues schuldenfinanziertes Subventionsprogramm in den Raum warf, sondern hierzu auch gleich das Gesprächsangebot in Richtung Friedrich Merz aussprach, ließ sich jener nicht lange bitten. In seinem Wochenend-Newsletter erklärte Merz, dass die vormaligen „Hauptgegner“ in der aktuellen Regierung jedenfalls auch gerne Teil „seiner“ Regierung sein könnten. Um die neu entflammte Zuneigung nicht abkühlen zu lassen, fuhr die Grünenvorsitzende Ricarda Lang Retour und nannte Schwarz-Grün „auf jeden Fall eine Option“. Deutlicher können jedenfalls die Grünen den Koalitionspartnern SPD und FDP nicht zeigen, dass sie sich selbst bereits innerlich abgesetzt haben.
Wer aber die Zeilen des CDU-Vorsitzenden über seine strategischen Gedanken liest, der wird sehr wenige inhaltlich-programmatische Argumentationspunkte für seine koalitionären Gedankenspiele finden, umso mehr aber machtstrategische. Die alte CDU Angela Merkels schimmert hier durch. Eine in ihren späteren Tagen weitgehend wertelose und entkernte Partei, mit der sich Friedrich Merz aus nachvollziehbaren Gründen doch eigentlich nie sonderlich identifiziert hat. Eine Partei, bei der die Besetzung des Kanzleramtes stets Vorrang vor der Durchsetzung von Politik hatte. Wer als konservatives Basismitglied mit dem großen innerparteilichen Beteiligungsprozess für das neue Grundsatzprogramm geglaubt hatte, es ginge jetzt wieder um inhaltliche Fragen, um wirkliche politische Ideale, um einen neuen Aufbruch, der mag sich im Angesicht des neuesten Merzschen Schwenks möglicherweise getäuscht fühlen.
Man kann Friedrich Merz diesen Slalom fairerweise nicht übelnehmen, denn er hat offenbar gemerkt, dass er sich einer Entwicklung nicht in den Weg stellen sollte, die er vermutlich selbst nicht aufhalten kann. Der innerparteiliche Wunsch in der CDU nach einem Bündnis mit den Grünen ist so stark, dass sich selbst der Parteivorsitzende dem nicht erwehren kann. Die stärksten Landesfürsten der Union haben sich schon koalitionspolitisch entschieden – unter anderem Merz‘ eigener Landesvorsitzender Wüst, der ein Bündnis mit den Grünen offenbar als progressiv empfindet. Und auch der zur erweiterten Führungsreserve zählende Ministerpräsident Daniel Günther hätte in Schleswig-Holstein problemlos eine Koalition mit den Freien Demokraten eingehen können, entschied sich aber für die Grünen – nicht, weil es um die Sache ging, sondern weil strategische Überlegungen vordergründig waren. Aus dem traditionell starken CDU-Landesverband Baden-Württemberg hört man aktuell viel Lob für Schwarz-Grün, die eigene Konstellation sei doch angeblich eine wunderbare Blaupause für den Bund. Und Markus Söder? Es erfordert nicht viel Vorstellungskraft, dass er ohne Zögern jede Art von Bündnis eingehen würde (mit Ausnahme eines mit der AfD), wenn er selbst die Möglichkeit zur Kanzlerschaft hätte.
Mit anderen Worten: Die Union arbeitet im Bund auf eine Koalition mit den Grünen hin. Das hat Friedrich Merz jetzt auch verstanden.
Es ist in den ersten Tagen dieses Jahres viel ins Rutschen geraten. Vor wenigen Wochen hatte ich in einem Interview noch der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die Ampelkoalitionäre den Spirit des Anfangs wiederfinden würden. Gelänge es uns dies nicht innerhalb eines Vierteljahres, so meine Prognose, dann würden die gesellschaftlichen Fliehkräfte zu stark, als dass die Koalition dies noch ertragen würde. Ich gebe zu: Diese Hoffnung rückt in weitere Ferne. Nicht wegen Friedrich Merzens Wende – so viel Macht sollte er eigentlich nicht haben – sondern wegen der wachsenden Unklarheit, ob die grünen Kollegen noch zu dieser Koalition stehen. Zumindest bis zum regulären Ende der Legislaturperiode.
Die politischen Reibungsverluste in einem Bündnis mit den Grünen, die unter anderem mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen in der Haushalts-, Wirtschafts-, Energie- und Migrationspolitik zusammenhängen, sind naturgemäß groß. Das wussten alle Beteiligten von Anfang an. Problematisch ist aber: Sie werden in dieser krisenhaften Zeit aller Voraussicht nach immer größer. Ich kann meiner Partei deshalb nicht raten, nach der nächsten Bundestagswahl noch einmal mit den Grünen eine Koalition einzugehen. Man kann Friedrich Merz eigentlich dankbar sein, dass er in dieser Frage eine andere Abwägung getroffen und für die Union nun Klarheit geschaffen hat.