Wolfgang Kubicki

„Mitschwimmen in einem großen Strom wird der FDP nicht helfen“

Wolfgang Kubicki Deutscher Bundestag
Foto Tobias Koch

WELT: Herr Kubicki, Sie sind ein halbes Jahrhundert in der FDP, 30 Jahre Mandatsträger, seit neun Jahren Vizechef der Partei und seit über fünf Jahren Vize-Präsident des Bundestags. Im März werden Sie 71 Jahre alt. Denken Sie manchmal: Es reicht jetzt mit der Politik?

 

Wolfgang Kubicki: Das denke ich gelegentlich, unabhängig von der Politik. Meinen eigentlichen Beruf als Rechtsanwalt gibt es ja auch noch. Aber diese Gedanken sind nur von kurzer Dauer. Mein Alter schützt mich nicht vor dem Gefühl, dass meine Mitwirkung notwendig ist, um uns in der politischen Klasse davor zu bewahren, mit unseligen Entscheidungen unser Leben in diesem Land zu ruinieren.

 

WELT: Ende April wählt die FDP ihre Führung neu. Das heißt, Sie treten auf dem Parteitag wieder an?

 

Kubicki: Ich trete wieder an, nach langer Diskussion mit meiner Frau, die dem jetzt auch zugestimmt hat – mit der Auflage, dass ich bis Ende des Jahres zehn Kilo abnehmen muss, weil sie auf meine Gesundheit achtet. Ich folge damit einer Bitte meines Landesvorsitzenden Oliver Kumbartzky und auch einer Bitte von Christian Lindner. Denn wir waren seit 2013 ein wirklich gutes Team an der FDP-Spitze. Ich habe vor, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl noch einmal ein zweistelliges Ergebnis erzielen.

 

WELT: Also kandidieren Sie auch bei der nächsten regulären Bundestagswahl 2025?

 

Kubicki: So Gott und meine Landespartei will und ich lebe, wird das so sein.  

 

WELT: Hält die Ampel überhaupt so lange? Die Differenzen in der Energie- und Verkehrspolitik oder bei den Waffenlieferungen an die Ukraine sind ja durchaus erheblich.

 

Kubicki: Das sind sie in der Tat. Aber das Prinzip von Demokratie besteht darin, trotz unterschiedlicher Auffassungen zu Kompromissen zu kommen, die das Leben in einer Koalition erträglich gestalten und vor allen Dingen gut sind für unser Land. Welche Alternative gibt es denn? Die Union ist nach wie vor nicht regierungsfähig. Und Deutschland jetzt, in dieser Lage in Europa, in einen Bruch der Koalition und einen neuen Wahlkampf zu schicken – das hieße, uns ein halbes Jahr nahezu handlungsunfähig zu machen. Das wäre unverantwortlich. Das sage ich aus voller Überzeugung: Wir sind zum Erfolg verdammt. Das gilt für Sozialdemokraten, Grüne und die FDP.

 

WELT: Erst die Pandemie, dann Russlands Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen: Sehen Sie die Freiheit in Deutschland bedroht?

 

Kubicki: Die Freiheit in Deutschland ist von außen und innen bedroht, aber während der Pandemie noch deutlich massiver als gegenwärtig. Unter dem Strich bleibt die hoffnungsvolle Erkenntnis: Wir können in diesem Land streitlustig und offen debattieren. Manchmal vergreifen sich einige im Ton, das gilt auch für mich. Aber ich sehe, dass die Demokratie sich bewährt hat, dass der Rechtsstaat funktioniert, das ist das Entscheidende. Viele unserer Gerichte haben während der Pandemie, aber auch danach, kluge Entscheidungen getroffen. Aus meiner Sicht nicht alle. Aber das ist eben so. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, und wir müssen immer daran arbeiten, sie auf einen gemeinsamen Punkt zu bringen.

 

WELT: Können Sie nicht ohne Politik, oder kann die FDP nicht ohne Sie?

 

Kubicki: Es gibt einen wunderbaren Satz von Otto Graf Lambsdorff, der einmal gesagt hat: Gehen Sie auf einen Friedhof, der ist voll von Menschen, die unverzichtbar sind. Ich kann ohne Politik, und die FDP kann wahrscheinlich auch ohne mich. Aber sie muss auf mich nicht verzichten. Sie kann sich entscheiden: Ich stelle mich jedenfalls einer demokratischen Wahl. Und ich glaube schon, dass das Team aus Christian Lindner, mir und anderen für diese Partei von Vorteil sein kann. Vor allen Dingen deshalb, weil wir wissen, dass wir in der Altersgruppe 60 plus deutlich besser werden müssen, jedenfalls wenn wir ein zweistelliges Ergebnis erreichen wollen.

 

WELT: Bis 2013, das haben Sie selbst mal gesagt, galten Sie in der Partei als Exot. Nach dem Rauswurf aus dem Bundestag haben dann plötzlich viele gesagt, die FDP müsse mehr wir Kubicki sein. Ist sie das heute?

 

Kubicki: Sie ist jedenfalls lebendiger als damals. Abgesehen davon besteht offenbar eine starke Nachfrage an Auftritten von mir landauf, landab. Wenn ich von Parteifreunden eingeladen werde, die eine Veranstaltung arrangieren, kommen schlicht mehr Menschen dorthin – vor allem auch solche, die nicht der Partei angehören. Und das ist das Wesentliche, dass wir mit den Menschen kommunizieren, auch gerade mit denen, die von uns als Partei noch nicht restlos überzeugt sind.

 

WELT: Hat die Partei abseits Ihres Führungsduos genügend Persönlichkeiten, die Wähler für die FDP gewinnen können?

 

Kubicki: Ich arbeite jetzt seit fünf Jahren mit einer Reihe von Persönlichkeiten in meiner eigenen Bundestagsfraktion, kann also sagen: Ja, wir haben die. Ich ermuntere sie aber immer wieder, keine Angst davor zu haben, auch einmal anzuecken. Denn nur wenn die Menschen uns wahrnehmen, können sie sich im Zweifel für oder gegen uns entscheiden. Das Mitschwimmen in einem großen Strom wird der FDP nicht helfen. Im Gegenteil.

 

WELT: Wer wird denn wahrgenommen?

 

Kubicki: Wir haben Frau Strack-Zimmermann, die ist wahrnehmbar, auch wenn ich nicht alle ihre Positionen teile. Wir haben Johannes Vogel, Jens Teutrine, Linda Teuteberg, Gyde Jensen, Claudia Raffelhüschen, wir haben eine ganze Reihe von wirklich guten Leuten. In den Ländern Christopher Vogt, Martin Hagen oder Sebastian Czaja. Ich könnte das jetzt unendlich aufzählen. Ich ermuntere sie alle nur: Leute, werdet wahrnehmbarer für die Menschen, denn nur dann haben die eine Chance, sich auch für euch und die FDP zu entscheiden.