Wolfgang Kubicki

Meine Antwort an Professor Dabrock

Foto: Tobias Koch
Foto: Tobias Koch

Sehr geehrter Herr Professor Dabrock,

 

Sie haben mir in Ihrem Post vom 28. November im Hinblick auf meine Einschätzung zum Wirken des Ethikrates während der Corona-Pandemie einige Fragen gestellt, auf die ich gerne antworte. Ich möchte vorausschicken, dass ich mich freue, dass Sie sich im Ton weitgehend von vorigen Einlassungen auf X (Twitter) in meine Richtung unterschieden haben und gebe meiner Hoffnung Ausdruck, dass dieser Dialog einen Teil zur Aufarbeitung beitragen kann und Wege zur Verständigung öffnet.

Sie schreiben, Sie vermissten in meinem Statement für die @welt eine selbstkritische Sensibilität für unterschiedliche Governance-Einschätzungen in unterschiedlichen Pandemie-Phasen. Damit machen Sie es sich natürlich selbst einfacher, meine Positionen in der Corona-Pandemie – gestützt auf ein einziges Pressestatement – unter dem Rubrum der kenntnisarmen Undifferenziertheit einzusortieren. Das finde ich bedauerlich.

Ich habe unlängst in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche“ („Fürchtet Euch nicht“ vom 25. Januar 2023) deutlich gemacht, dass es „maximal unredlich (wäre), wenn wir im Ton der Besserwisserei nachträglich über Maßnahmen richten würden, die auf wackeliger Datengrundlage gefällt wurden.“ Ich erklärte dort aber auch: „Es wäre allerdings etwas problematisch, wenn wir sämtliche Entscheidungen der bundesdeutschen Corona-Politik unter einen apologetischen Schutzschirm schieben würden. Haben wir es auch zu späteren Zeitpunkten in der Pandemie nicht besser gewusst? Und können wir jetzt bei Maßnahmen, die sich als schwerwiegende Fehler herausgestellt haben, nachträglich ohne Reue erklären: ‚Wir konnten es ja nicht ahnen‘, ohne dabei wirklich verantwortlich zu sein?“ Zudem sei hinzugefügt, dass ich eigene Fehleinschätzungen aus der Corona-Zeit selbst eingeräumt habe. So war meine Zustimmung für die einrichtungsbezogene Impfpflicht ein schlimmer Fehler, den ich sehr bedaure und für den ich mich entschuldige. Ich hätte damals kritischer mit den offiziellen Erklärungen des Robert Koch-Institutes, das von einer ausreichend signifikanten Transmissionsreduzierung durch die Impfung sprach, umgehen müssen. Ich habe diesen Fehler offen eingeräumt, weil ich mich nicht auf die von Demut befreite Position stellen will: Man konnte es ja nicht besser wissen. Das halte ich für eine Flucht aus der Verantwortung. Denn es gab zu jeder Phase der Pandemie Stimmen, die sich im Nachgang als richtiger als andere herausstellten. Leider nicht selten wurden diese aber nicht gehört, zum Teil wurden diese sogar ausgegrenzt – wie etwa diejenigen, die schon früh eine Abkehr von den Schulschließungen forderten, weil diese zu große soziale, gesundheitliche und bildungspolitische Kollateralschäden verursachten.

Das „Wir wussten es nicht besser“ (oder: „unterschiedliche Governance-Einschätzungen in unterschiedlichen Pandemie-Phasen“), muss daher eigentlich lauten: „Wir meinten, es besser als andere zu wissen, lagen aber dramatisch falsch.“ Die Frage ist: Warum wurden diejenigen Stimmen, die richtig lagen, nicht gehört? War das die Furcht vor einer „false balance“? Sollte nicht gerade der Deutsche Ethikrat vorangehen, wenn es gilt, eigene Fehler zu benennen, um seinen Teil zur gesellschaftlichen Heilung beizutragen? Oder hält der Ethikrat die eigene Entscheidung vom 22. Dezember 2021 noch heute für richtig, eine allgemeine Impfpflicht zu empfehlen – wenn selbst der größte Verfechter der Impfpflicht, Karl Lauterbach, der eine solche sogar mit amtlichen Lügen zu erreichen versucht hat, diesen Fehler mittlerweile offen einräumt?

Nun zum Vorwurf der politischen Gefügigkeit des Ethikrates: Sie sprechen mit Blick auf die von der „Welt“ genannte E-Mail der damaligen Ethikratsvorsitzenden Buyx an den Gesundheitsminister Spahn von einem normalen Vorgang („…sucht die neue Vorsitzende das Gespräch mit der Regierung, um die Arbeit des Rates voranzubringen. Ist das schlimm?“). Sie verweisen zudem auf §2 Abs. 3 EthRG, um Ihre Argumentation zu untermauern. Wenn aber der Ethikrat in gleichen Teilen sowohl von der Bundesregierung als auch vom Deutschen Bundestag gewählt wird, beiden Seiten gleichermaßen gesetzlich verpflichtet ist, gab es dann auch ein vergleichbares Gesprächsersuchen an den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble bzw. an das Präsidium des Bundestages?

Dass die Perspektiven des Parlaments und der Parteien, welche – Sie wissen es: bei der Willensbildung des deutschen Volkes mitwirken sollen (Art. 21 Abs. 1 GG) – bei der Vorsitzenden des Ethikrates offenbar wenig Beachtung gefunden haben, zeigte sich auch in einem Beitrag von „Berlin Direkt“ aus dem Januar 2021. Hier wurde sie interviewt und anschließend auf X zitiert: „Nach Auffassung von @alena_buyx, Vorsitzende Deutscher #ethikrat, sei es wichtig, dass bei ‚Fragen der Pandemie‘ und damit verbundenen Entscheidungen ‚kein Wahlkampf betrieben wird‘.“ Mit anderen Worten – ich hoffe, ich überspitze als betroffener Parlamentarier nicht: Alternative Konzepte zur Regierungspolitik sollten oppositionelle Parteien lieber für sich behalten, um im Zweifel nicht für ein bestimmtes coronapolitisches Konzept gewählt zu werden. Wie sollte man diesen Hinweis anders verstehen als: Die politischen Parteien stehen in der Gefahr, unverantwortlich zu handeln. Und: Die Regierung braucht in einer Pandemie kein Korrektiv.

Bei dieser Erklärung, die aus meiner Sicht doch recht wenig Sensibilität für demokratische Grundsätze und Achtung des Staatsaufbaus offenbart, sind wir uns hoffentlich einig: Das war zu jedem Zeitpunkt der Pandemie falsch. Sie werden verstehen, dass ich glaube, spätestens hier wurde die Rolle des Ethikrates als übergeordnetes Dialogforum für die demokratische Gesellschaft überdehnt.

Ferner ist nicht nur mir aufgefallen, dass sich die Stellungnahmen der in den Medien durchaus präsenten Vorsitzenden im Laufe der Pandemie in zentralen Punkten kaum von denjenigen der Bundesregierung unterschieden. Wie der Ethikrat in seiner Ad-Hoc-Empfehlung vom Februar 2021 hatte auch die Bundesregierung unter Angela Merkel einer entsprechenden Ausgrenzung von Nicht-Geimpften aus dem öffentlichen Leben zunächst eine Absage erteilt, zeitgleich mit der Geltung der gesetzlichen Regelung im November 2021 verteidigte die Vorsitzende Buyx aber das flächendeckende 2G. Anders als bei der allgemeinen Impfpflicht, wo sich der Ethikrat als Ganzes zu einer anderen Einschätzung als bei seiner 2019er Stellungnahme entschied, gab es bei 2G kein eigenes Votum des Plenums.

Natürlich kann ein entsprechender Gleichklang mit den Entscheidungen der Bundesregierung damit zusammenhängen, dass die Bundesregierung im Rahmen der pandemischen Neuwertungen stets richtig handelte. In den Fällen von 2G, hinsichtlich der zum Teil zulasten von Ungeimpften betriebenen öffentlichen Beschimpfung durch Dritte („Tyrannei“, „terrorisieren“, „Bekloppte“) und vielfach als brutal empfundenen Ausgrenzung konnte man dies jedoch schon damals bezweifeln. Ich sagte am 7. September 2021 im Bundestag in Richtung der Bundeskanzlerin: „Jeder, der die Möglichkeit hat, sollte sich wirklich impfen lassen. Aber hören Sie auf, Nichtgeimpften mit dem Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben zu drohen! Hören Sie auf, sie zu Schuldigen zu machen und ihre soziale Verantwortung infrage zu stellen! Das spaltet die Gesellschaft in unerträglicher Weise.“ In dieser Frage hätte ich mir mehr ethisch-moralisches Fundament und Engagement für die rund 20 Millionen Betroffenen gewünscht. Vom Deutschen Ethikrat und dessen Repräsentanten war jedoch vornehmlich zu vernehmen, dass der gesellschaftlich-politische Druck gegebenenfalls bis zu 1G noch weiter erhöht werden müsse (z.B. auch Andreas Lob-Hüdepohl am 2. September 2021 im „Tagesspiegel“: https://www.tagesspiegel.de/wissen/warum-impfunwillige-nachteile-in-kauf-nehmen-muessen-wenn-es-nicht-anders-geht-ist-2g-ethisch-legitim-238781.html)

Lieber Herr Professor Dabrock, im Gegensatz zu Ihnen bin ich sicherlich nicht so nah an der göttlichen Eingebung, dafür habe ich aber eine solide juristische Ausbildung. Ich glaube, auch der Deutsche Ethikrat kann sich der breiten Aufarbeitung nicht dadurch entziehen, indem er sich auf die Position zurückzieht, Kritikern mangele es an Sensibilität für unterschiedliche Governance-Einschätzungen in unterschiedlichen Pandemie-Phasen. Wenn zudem Kritik als „ehrabschneidend“ bezeichnet wird, wenn sie sich auf das benannte demokratisch zweifelhafte Vorgehen der Vorsitzenden bezieht, dann wächst bei vielen – auch mir – der traurige Eindruck, dass die Bereitschaft nicht sehr ausgeprägt ist, sich für bestimmte Fehleinschätzungen zu entschuldigen und damit den Weg zu einer innergesellschaftlichen Verständigung zu öffnen.

Ich bleibe dabei: Eine Aufarbeitung der coronapolitischen Entscheidungen, die auch die Rolle „der“ Wissenschaft, der Judikative, der Medien, der Exekutive und Legislative überprüft, ist nötig. Ich mache mich für die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses unmittelbar nach dem 23. Februar 2025 stark. Und ich hoffe sehr, dass auch Sie Ihre Möglichkeiten nutzen werden, um die dringend nötige Aufarbeitung gelingen zu lassen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Kubicki