Wolfgang Kubicki

Interview mit der Passauer Neue Presse: "Kanzlerin will vom Regierungsversagen ablenken"

Bund und Länder streiten im Moment darüber, wer das Sagen haben soll in der Corona-Politik. Wer sollte es nach ihrer Auffassung sein?

Mich wundert dieser Streit, weil ja rechtlich eigentlich alles festgelegt ist. Das Infektionsschutzgesetz ist ein Gesetz des Bundes. Wir haben es im November noch einmal novelliert und klare Grenzwerte formuliert, die regeln, was getan werden kann, wenn sie überschritten werden. Die rechtlichen Grundlagen schafft also der Bund und ausführen müssen es die Länder. Daher verstehe ich den Streit, den Bundeskanzlerin Angela Merkel losgetreten hat, nicht richtig. Denn schließlich sind die letzten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vor Ostern von den Ländern weitgehend umgesetzt worden. Ich vermute aber, dass die Kanzlerin davon ablenken will, dass wir ein komplettes Regierungsversagen auf der Seite des Bundes haben, was uns mehr und mehr daran hindert, mit der Pandemie vernünftig umzugehen. Ich nenne nur die Stichworte Warn-App, den Mangel an Impfstoffen und das Fehlen einer richtigen Teststrategie. Das sind alles Dinge, die der Bund zu regeln hat. Und der hat sich dabei beileibe nicht mit Ruhm bekleckert.

Merkel hat ins Spiel gebracht, das Infektionsschutzgesetz noch einmal anzupacken, um klarere Vorgaben von Bundesseite zu formulieren. Würde ihre Partei dem zustimmen?

Wir stimmen natürlich nicht all dem zu, was die Kanzlerin vorschlägt. Vielmehr haben wir Freidemokraten das Entscheidende schon vor einem Jahr vorgeschlagen. Wir haben einen detaillierten Stufenplan vorgelegt, der einfach umgesetzt werden könnte. Und wir haben immer wieder gefordert, dass das Parlament vernünftig und wesentlich mehr eingebunden werden muss in die Entscheidungen. Wenn wir jetzt das Infektionsschutzgesetz noch einmal novellieren würden, dann nicht, um die Zügel schärfer anzuziehen, sondern um Rechtssicherheit und Planbarkeit zu schaffen. Denn den meisten Betroffenen, den Menschen wie den Unternehmen, fehlt nach über einem Jahr die Planungssicherheit. Da gibt es ein großes Versäumnis in der Kommunikation zwischen der Kanzlerin, den Ministerpräsidenten und den Bürgern.

Was werfen sie der Kanzlerin vor?

Ich finde es schon erstaunlich, dass sich die Kanzlerin im Streit mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten auf ihren Amtseid bezogen hat. Denn die haben schließlich ebenso einen Amtseid geleistet. Ansonsten kann ich momentan nicht erkennen, dass in den Landesverordnungen in den einzelnen Ländern nicht das umgesetzt worden wäre, was vereinbart wurde.

Wie lange würde eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes dauern?

Das kann relativ zügig gehen. Der Bundestag ist in der Lage, das in 48 Stunden zu machen, wenn es dringlich sein sollte. Aber so dringend ist es momentan gar nicht. Ich bin sicher, innerhalb von 14 Tagen oder drei Wochen ist es möglich, das auf die Schiene zu bringen. Dann könnten wir im Deutschen Bundestag dazu auch Sachverständige anhören, um genauer herauszufinden, welche Maßnahme welchen Erfolg verspricht. Mit vordergründigen Plausibilitäten können wir inzwischen nicht mehr operieren.

Erkennen sie momentan so etwas wie einen roten Faden in der Corona-Politik?

Das fällt nicht ganz leicht. Man sollte auf alle Fälle die spezifischen Bedingungen vor Ort immer mit bedenken. Man kann nicht an Orten mit schwächerem Infektionsgeschehen, wie etwa in Schleswig-Holstein, agieren wie in solchen mit hohen Inzidenzraten. Und man muss das Instrument Testen stärker berücksichtigen bei flexiblen Lösungen.

Bedarf es einer Staatsreform nach der Krise, um das Zusammenwirken von Bund und Ländern neu zu regeln?

Im fundamentalen Sinne sicher nicht im Sinne einer Föderalismus-Reform. Ich finde es allerdings bemerkenswert, dass gerade Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus bei diesem Thema von einer „Revolution“ spricht, die nötig wäre. Denn schließlich regiert seine Union schon seit 16 Jahren. Was wir vor allem brauchen, ist auf allen Ebenen mehr Digitalisierung.

 

Das Gespräch führte Gernot Heller.