Wolfgang Kubicki

Interview mit der Passauer Neue Presse: FDP-Vize Kubicki zerreißt Impfverordnung der Bundesregierung

Grünen-Chefin Baerbock hat eine Begrenzung der Amtsperiode für die Kanzlerschaft ins Gespräch gebracht. Wie stehen Sie dazu? Wo sollte ggf. die Begrenzung liegen?

Grundsätzlich müssen wir in einer freiheitlichen Demokratie immer davon ausgehen, dass die Wählerinnen und Wähler kraft ihrer Mündigkeit selbst entscheiden sollten, wen sie für wählbar halten und wen nicht. Ich halte immer noch viel von dieser Idee. Trotzdem gibt es durchaus gewichtige Gründe dafür, die Amtszeit grundsätzlich zu begrenzen. Das vermeidet Amtsmüdigkeit und Trantütigkeit, die wir derzeit leider erleben. Wenn man sich dafür entscheidet, diese Begrenzung zu machen, dann wären zwei volle Legislaturperioden durchaus sinnvoll.
 

Was spricht dafür, das gerade jetzt zu tun?

Irgendwann müsste man ja anfangen. Ich gehe davon aus, dass die Sicht auf das bedauernswerte Erscheinungsbild der aktuellen Bundesregierung das Bedürfnis nach einer entsprechenden Änderung stark vergrößert hat.
 

Sollte die Legislaturperiode, die Amtszeit von Parlament und Regierung, ausgeweitet werden, um etwas Kurzatmigkeit aus der Politik zu nehmen?

Das könnte tatsächlich Sinn ergeben. Wir haben ja in den Ländern fast ausschließlich eine fünfjährige Wahlperiode. Ich kann nicht erkennen, dass dies zu einer Schwächung der demokratischen Ordnung geführt hat – eher im Gegenteil. Die Möglichkeit, hier einmal auch grundsätzlichere Fragen mit längerem Atem anzugehen, halte ich für sinnvoll. Das würde im Gegenzug auch den Handlungsdruck auf die Bundesregierung erhöhen, diese tiefer greifenden Fragen auch wirklich zu behandeln. Insofern, ja: Das könnte helfen.
 

Wie bewerten Sie die Ablehnung von Verfassungsbeschwerden gegen die Bundes-Notbremse, speziell die Ausgangssperre, durch Karlsruhe?

Die Beschwerde ist ausdrücklich nicht abgelehnt worden, der Antrag auf Eilrechtsschutz wurde abgelehnt. Die Entscheidung ist nachvollziehbar, denn es geht bei Eilentscheidungen immer um eine Folgenabwägung. Das Gericht konnte hier nur feststellen, ob die ergriffene Maßnahme – also die Ausgangssperre – offensichtlich unplausibel oder unverhältnismäßig ist. Das hat das Gericht zunächst verneint. Im Hauptsacheverfahren ist die Begründungstiefe allerdings eine andere. Über den Antrag der FDP-Abgeordneten, in der es auch um die Grundrechtsbeschränkung von Geimpften und Genesenen geht, wurde im Übrigen noch nicht entschieden. Ich gehe stark davon aus, dass sich das Bundesverfassungsgericht die Frage stellen wird, wieso eine solche grundrechtsrelevante Frage extra aus dem Infektionsschutzgesetz ausgegliedert und dem Verordnungsgeber überantwortet wurde. Ich bin jedenfalls auf die Begründung gespannt.
 

Gehen Sie davon aus, dass in der Hauptsache solche Beschwerden, wie sie ja auch von der FDP unterstützt werden, dennoch Aussicht auf Erfolg haben?

Ja sicher, sonst hätten wir die Klage nicht eingereicht.
 

Welche praktische Relevanz haben diese Urteile, wo doch wegen der sinkenden Inzidenzzahlen das Thema Bundes-Notbremse sich bald erledigt haben dürfte?

Die praktische Relevanz liegt auf der Hand: Jeder einzelne Tag, an dem Grundrechte eingeschränkt werden, erfordert einen höheren staatlichen Begründungsaufwand. Wenn es keine ausreichenden Begründungen für diese Eingriffe in die Berufsfreiheit, die Versammlungsfreiheit oder die Freizügigkeit gibt, sind die Einschränkungen sofort aufzuheben. Man kann es aus verfassungsrechtlichen Erwägungen einem Gastwirt nicht verwehren, wenn er seine Kneipe für Geimpfte, Genesene und frisch Getestete aufmachen will. Weil das Grundgesetz davon ausgeht, dass in der Frage der Freiheitsbeschränkungen jeder Tag kostbar ist, haben wir Eilrechtsschutz beantragt. Und – wie gesagt – über den Antrag der FDP wird erst noch entschieden.
 

Die Bundesregierung, SPD und Union, sind plötzlich bereit, nach dem Klimaschutz-Urteil des Verfassungsgerichts, die Klimaziele kurzfristig kräftig aufzustocken. Wie bewerten Sie diesen Vorgang? Ist die FDP bereit, und wenn ja, unter welchen Bedingungen, diesen Weg mitzugehen?

Die FDP hat mit dem Konzept, das mein Kollege Lukas Köhler maßgeblich entwickelt hat, bereits vernünftige, wirksame und umsetzbare Vorschläge in der Schublade. Wir gehen selbstverständlich den Weg, den das Pariser Klimaabkommen vorgezeichnet hat, mit. Aber nicht über ein Verbot, sondern über einen Emissionshandel mit einem CO2-Deckel. Der politische Überbietungswettbewerb, der jetzt stattfindet, ist ziemlich komisch. Dass sich ausgerechnet die Union als Klimaretter aufspielt, hat die Grenze zur Realsatire überschritten.
 

Die neue Verordnung für Geimpfte gibt denen mehr Spielräume im täglichen Leben. Langt das?

Nein, sicher nicht. Diese Bundesverordnung berücksichtigt die Getesteten zu wenig. Auch von frisch Getesteten geht keine relevante Gefahr aus. Deren Freiheitsrechte dürften daher auch nicht beschränkt werden. Aber ich bin ja froh, dass der politische Druck, den die Freien Demokraten entfaltet haben, die Bundesregierung zum schnellen Handeln gezwungen hat. Nach den Vorstellungen der Bundeskanzlerin hätten wir diese Verordnung ja erst Ende Mai bekommen. Es gibt in dieser Frage übrigens noch ein anderes Problem: Der Deutsche Bundestag hat mit großer Mehrheit, ohne die Stimmen der FDP, an diesem Donnerstag die Verordnung zum Infektionsschutzgesetz verabschiedet, für die es aber teilweise noch keine Rechtsgrundlage gibt. Diese Rechtsgrundlage wird erst geschaffen. Das dürfte dazu führen, dass die gerade beschlossene Verordnung zumindest zum Teil, also wo es um die Ausnahmeregelungen für die Länder geht, nichtig ist. So viel Dilettantismus in so kurzer Frist habe ich noch nicht erlebt.

 

Die Fragen stellte Gernot Heller.