Wolfgang Kubicki

Interview mit der Mallorca Zeitung: "Ich halte nicht das Reisen hoch, sondern unsere Rechtsordnung"

Ein generelles Reiseverbot von Deutschland aus, etwa nach Mallorca, scheint vom Tisch zu sein. Was bekommen Sie da unmittelbar mit?

Ein solches Reiseverbot, wie es offensichtlich ohne jede Vorbereitung die Bundeskanzlerin und andere planen, ist europarechtlich unzulässig. Das würde eine der Grundfreiheiten der europäischen Union tangieren. Es ergibt sich schon unmittelbar aus den europäischen Verträgen, dass das nur auf europäischer Ebene und nicht nationalstaatlich und unabgesprochen geregelt werden kann. Das wissen mittlerweile auch alle Beteiligten, weshalb die Bundesjustizministerin und auch die SPD-Bundestagsfraktion öffentlich erklärt haben, man werde das als SPD auf keinen Fall mitmachen. Auch ich halte ein Reiseverbot für völlig unangemessen.

Es gibt Beispiele, da funktioniert das. England belegt Urlaubsreisen ohne triftigen Grund mit saftigen Geldstrafen, Spanier dürfen sich innerhalb ihres Landes nicht frei bewegen. Warum bekommt das Deutschland nicht hin?

Sie können nationalstaatlich regeln und zum Beispiel verhindern, dass aus bestimmten Gebieten eines Landes in andere Gebiete gereist werden kann. In Deutschland ist aber auch das kaum möglich. Wir hatten ja schon beim ersten Lockdown, als Schleswig-Holstein die Einreise von Hamburgern untersagt hat. Ich habe damals noch den Kopf geschüttelt und gesagt: Diese Form von Kleinstaaterei, die hatten wir eigentlich lange hinter uns gelassen, heute geht das nicht mehr. Aber Sie können den Grenzübertritt – von Frankreich nach Deutschland beispielsweise – nicht im Alleingang verhindern. Sie können nur, was ja andere Länder auch machen, dafür Sorge tragen, dass Menschen, die einreisen, entweder in Quarantäne gehen müssen oder durch einen Test nachweisen müssen, dass sie nicht infektiös sind.

Aber Briten dürfen momentan nicht in Urlaub fahren. Ist das rechtswidrig?

Die Briten sind nicht mehr Mitglied der Europäischen Union, deshalb dürfen sie das jetzt auch. Das kann man europaweit regeln, da kann man die Europäische Kommission bitten oder das Europäische Parlament oder den Europäischen Rat, entsprechend tätig zu werden. Aber dass ein Land das isoliert macht, ist ausgeschlossen.

Es gäbe ja noch andere Möglichkeiten, Reisen zu stoppen. Karl Lauterbach sagte am Donnerstagabend (25.3.) bei Maybrit Illner, man habe dafür gekämpft, Wege zu finden, die Reisen zu verbieten. Unter anderem bezweifelte Lauterbach in der Sendung auch die Mallorca-Fallzahlen.

Darauf kommt es doch gar nicht an. Dieses merkwürdige Denken, politische Wünsche direkt umzusetzen, ohne sich vorher nach den rechtlichen Grundlagen überhaupt zu erkundigen, das macht mich betroffen. Nicht alles, was dem Gesundheitsschutz dient, ist rechtlich auch erlaubt.

Wir befinden uns aber nun einmal in einer Sondersituation. Eine derartige Pandemielage hat unsere moderne Gesellschaft noch nicht erlebt. Da müssen doch auch außergewöhnliche Maßnahmen erlaubt sein, um das Virus zu stoppen.

Ja, außergewöhnliche Maßnahmen schon, aber keine rechtswidrigen. Die Verfassung und der Rechtsstaat gelten auch in der Pandemie. Es gibt mehrere Entscheidungen von deutschen Obergerichten, die erklären, dass es keinen Sinn hat, Menschen, die aus Gebieten mit einer geringeren Inzidenz kommen, in Quarantäne zu schicken, wenn sie in Gebiete mit einer höheren Inzidenz einreisen. Da muss man unterscheiden zwischen tollen politischen Ideen und dem, was praktisch umgesetzt werden kann. Das hat die Bundeskanzlerin ja schmerzlich erfahren müssen mit ihrer Wahnsinnsidee, den Gründonnerstag zu einem Sonntag zu erklären.

Es stellt ein Missverhältnis dar, wenn man nach Mallorca fliegen kann, aber nicht ins Ferienhaus in den Bayerischen Wald fahren darf.

Diese Auffassung teile ich auch, weshalb es Schleswig-Holstein gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz ermöglichen wollte, mit seiner Familie ins Ferienhaus oder auf den Campingplatz fahren zu können, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Familie im Ferienhaus infiziert, gering ist. Die Behauptung, dass bestimmte Maßnahmen das Infektionsgeschehen unterbinden können, die darf man gerne hinterfragen. Wir haben auf Mallorca, sofern ich das von hier aus beurteilen kann, wesentlich engere Beschränkungen als in den meisten Gegenden von Deutschland und wir alle haben es selbst in der Hand, dafür Sorge zu tragen, dass wir uns nicht infizieren. Man muss immer wissen: Infektionsschutz ist Gefahrenabwehr. Wenn man ausschließen kann – entweder durch Impfung oder durch Genesung oder durch Testung -, dass man Infektionsträger ist, dann besteht keine rechtliche Handhabe mehr, die Menschen daran zu hindern, ihre Rechte wahrzunehmen. Wer keine Gefahr darstellt, der muss auch nicht mit Gefahrabwehrmaßnahmen belegt werden.

Man könnte es auch umdrehen und sagen: Mallorca müsste sich eigentlich vor den Deutschen schützen, wenn die Fallzahlen hier auf der Insel so niedrig sind.

Das ist eine Entscheidung der balearischen Regierung. Ich muss jetzt nicht für die Spanier in Ersatzvornahme tätig werden, und sie davor hüten, dass sie möglicherweise einen falschen Weg bestreiten.

Glauben Sie den offiziellen Fallzahlen der Balearen-Regierung?

Da ich keine besseren habe, nützt es nichts. Ich glaube auch, dass Karl Lauterbach keine besseren Zahlen hat. Wenn doch, muss er sie offenlegen. Wir sagen ja immer wieder, dass wir Verschwörungstheoretikern keinen Glauben schenken sollen. Dann sollten wir selbst nicht mit Verschwörungstheorien beginnen.

In Deutschland sind die allermeisten Menschen derzeit gegen Auslandsreisen und nur ein winziger Prozentsatz plant überhaupt eine Auslandsreise. Warum hängt man ein Thema so hoch, das offensichtlich nur sehr wenige Menschen direkt betrifft?

Warum die Bundeskanzlerin dies tut, kann ich nur vermuten. Möglicherweise weil sie auf diese Weise vom Versagen im eigenen Land ablenken und eine Neiddebatte entfachen kann. Wenn auf die Frage eines großen Fernsehsenders nach einem Verbot von Mallorca-Urlaub 80 Prozent dafür sind, dann sind das die 80 Prozent, die nicht reisen wollen oder nicht reisen können. Ich halte Politik, die sich an TED-Umfragen orientiert, für dumm und ziemlich kontraproduktiv.

Das müssen Sie sagen, weil es ja vor allem auch Ihre Wähler sind, die jetzt in ihre Ferienimmobilie auf die Insel kommen oder zum Golfspielen. Man muss sich Mallorca auch leisten können.

Ich komme ja schon seit Jahrzehnten auf die Insel und habe immer Leute getroffen, die das ganze Jahr über gespart haben, um 14 Tage oder drei Wochen mit der Familie Urlaub auf Mallorca machen zu können, was ja immer noch preiswerter war als deutsche Destinationen. Ich kann nicht behaupten, dass diejenigen, die nach Mallorca fliegen wollen, nur zu den Top-Verdienern gehören. Ich bin vehement dagegen, dass man den Menschen, die sich sehr darum bemühen, mal Urlaub machen zu können, mal rauszukommen aus ihrer kleinräumigen Wohnung, moralisch diskreditiert.

Die Flieger, in denen ich saß, waren fast ausschließlich mit Menschen besetzt, die nicht auf den Golfplatz gehen.

Zumindest die Testpflicht kommt am Dienstag, aber ausschließen lässt sich dadurch nicht, dass Infektionen nach Deutschland getragen werden, zumal Antigentests bei Menschen ohne Symptomen kaum anschlagen. Hat man sich da auf die kleinstmögliche Einschränkung geeinigt, bevor man gar nichts unternimmt?

Zunächst mal: Man kann überhaupt nichts ausschließen. Man kann auch nicht ausschließen, dass die Deutschen jetzt nach Mallorca Mutanten eintragen, die Spanien noch gar nicht kennt. Das ist der Preis der Freizügigkeit. Ich kann übrigens auch nicht ausschließen, dass ich auf der Straße jemanden treffe, der hochinfektiös ist und ich mich trotz meiner Schutzvorkehrungen infiziere. Dieses Abstrakte, was da im Raum steht, hilft uns im Konkreten nicht weiter. Was der Gesetzgeber anordnen kann und was ich auch für sinnvoll erachte ist, dass jeder, egal wo er herkommt, bei Übertritt auf die deutsche Grenze oder umgekehrt sich einem Schnelltest unterziehen muss, um diejenigen sofort herauszufiltern, die symptomlos infiziert sind. Das schützt nicht hundertprozentig, aber es schützt überhaupt nichts hundertprozentig, denn auch PCR-Tests können falsch sein. Und das ist der Weg: Dort, wo wir viel testen, erhöhen sich zwar auch die Fallzahlen, aber wie etwa in Schleswig-Holstein nicht exponentiell, weil es gelingt, sehr schnell in einer Kita oder in einer Schule die Kinder zu identifizieren, die infektiös sind. Diese Kinder können dann sofort in Quarantäne geschickt werden, so dass sich das Virus gar nicht weiterverbreiten kann. Ich halte das für eine sinnvolle Maßnahme, die vor allem rechtlich abgesichert ist – anders als eine Quarantäneanordnung für Einreisende aus Ländern, die eine niedrige Inzidenz haben.

Wir sind trotzdem noch mitten in einer Pandemie, viele sagen, es ist nicht die Zeit zum Reisen, Mobilität ist ein Pandemietreiber. Warum halten Sie trotzdem das Reisen, die Freizügigkeit in diesen Zeiten so hoch?

Ich halte nicht das Reisen hoch, sondern unsere Rechtsordnung. Das ist eine der Grundfreiheiten. Man muss schon weitreichende Begründungen haben, um diese massiv einzuschränken. Außerdem haben wir mittlerweile mehrere Millionen Geimpfte und mehrere Millionen Genesene. Eine Größenordnung von vielleicht 6 bis 8 Millionen Menschen stellt keine Gefahr mehr dar. Das darf nicht dazu führen, dass man diese 6 bis 8 Millionen Menschen daran hindert, sowohl in Deutschland, als auch innerhalb Europas zu reisen. Verfassungsrechtlich ist die Beschneidung der Grundrechte dieser Menschen kaum zu rechtfertigen.

Wobei es ja auch Varianten gibt, die zumindest zum Teil impfresistent sind und sich Geimpfte durchaus wieder infizieren können. Die Impfung ist also auch kein Allheilmittel.

Mir geht es nicht um die Impfung, sondern darum, dass von diesen Menschen keine Gefahr mehr ausgeht. Wenn wir Ihre Auffassung zugrundelegen, wir dürfen erst dann wieder unsere Rechte aus der Verfassung wahrnehmen, wenn das Virus überhaupt nicht mehr existiert, dann werden wir die nächsten 15 Jahre im Lockdown verbringen müssen. Es gibt ja mittlerweile Tausende verschiedene Varianten des Virus.

Sie sind insgesamt kein Freund von Beschneidungen der Grundrechte. Auf Mallorca gilt seit mehreren Monaten eine nächtliche Ausgangssperre, die recht gut zu funktionieren scheint. In Deutschland ist das Thema ein sehr heißes Eisen. Wie stehen Sie dazu?

Die spanische Jurisdiktion ist eine andere als die deutsche. Und die interne Organisation darf jedes Land für sich entscheiden. In Deutschland ist momentan nach unserer Rechtsprechung eine flächendeckende, also eine ein ganzes Bundesland umfassende Ausgangssperre, unzulässig. Da gibt es auch gerichtliche Entscheidungen. Das Verwaltungsgericht aus Mannheim beispielsweise hat das für Baden-Württemberg aufgehoben und darauf hingewiesen, dass man das nur lokal machen kann - dort, wo Hotspots sind. Wenn ich einen Hotspot habe, kann ich das konzentriert dort machen, aber darüber hinaus nicht. Wir haben mehrere obergerichtliche Rechtsprechungen, die sagen, das ist zu unverhältnismäßig, das ist unzulässig. Da, wo man konkret sagen kann, es gibt ein hohes Infektionsgeschehen, wie etwa in Flensburg, wo die Stadt für eine Woche eine Ausgangssperre verhängt hat, darf man es lokal begrenzt machen, aber flächendeckend ist es rechtlich nur in absoluten Extremsituationen denkbar.