Wolfgang Kubicki

Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Die Sender sind nicht sakrosankt"

Im Wahlprogramm der FDP spielen die Medien, abgesehen vom Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit - bis auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk - keine Rolle. Warum ist Ihnen dieser so wichtig?

Wir haben in unser Wahlprogramm die wichtigsten politischen Punkte aufgenommen, mit denen wir die Wählerinnen und Wähler überzeugen wollen, uns im September zu wählen. Ich habe diesem Antrag zwar nicht zugestimmt, da er mir zu kurzgefasst ist, aber trotzdem ist er wichtig, weil wir damit eine rigide Forderung aus dem Jahr 2017 den Rundfunkbeitrag zu halbieren, zurücknehmen konnten. Eine solche Regelung wäre verfassungsrechtlich kaum durchsetzbar gewesen. Mit dem Kern dieses Abschnitts, einer stärkeren inhaltlichen Konzentration und einer verringerten Konkurrenz mit privaten Angeboten, bin ich aber natürlich einverstanden.

 

Aber eine Konzentration auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen, die Sie fordern, steht auch im Gegensatz zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

Da wir in unserem Wahlprogramm fordern, der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle sich primär auf diese Aufgaben konzentrieren, schließen wir die anderen Programminhalte, wie beispielsweise Information oder Beratung, nicht aus. Aber die Frage ist, ob zum Beispiel die Fülle an Quizshows, die private Sender auch anbieten, zum Kernauftrag von ARD und ZDF gehört. Ich möchte daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht 2007 erklärt hat, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf der Grundlage der Gebühren eine Abkopplung vom Markt bewirken und sich das Programm an vielfältigen publizistischen Zielen orientieren soll, unabhängig von den Einschaltquoten und Werbung. Nach meinem Eindruck wird diese Orientierung der Verfassungsrichter nicht konsequent umgesetzt.

 

Ziel der Anstalten ist es, möglichst Viele zu erreichen…

Ich diskutiere mit Intendanten der ARD oder des ZDF seit über 30 Jahren über eine Strukturreform. In diesen Gesprächen höre ich immer wieder das Argument, dass die Sender darauf angewiesen sind, eingeschaltet zu werden. Deshalb würden sie auch Telenovelas oder Spitzensport übertragen. Natürlich müssen die öffentlich-rechtlichen Angebote auch genutzt werden und relevant für ein breites Publikum sein, aber die Relation muss stimmen. Der Schwerpunkt sollte auf der Berichterstattung über kulturelles, politisches und wirtschaftliches Leben in der Region und in unserem Land liegen und nicht auf „Brot und Spielen“.

 

Die Politik darf den Sendern keine konkreten inhaltlichen Vorgaben machen und sich in die Programmgestaltung nicht einmischen. Kann man ohne Quoten die Programmrelation verändern?

Ja, davon bin ich überzeugt, denn natürlich muss bei diesem Veränderungsprozess die innere Rundfunkfreiheit gewahrt bleiben. Ich habe gerade ein Interview zu 60 Jahren „Panorama“ gegeben. Das ist ein ARD-Magazin, das wichtig ist und einen festen Platz im Programm haben muss, obwohl ich mich auch über einige Beiträge geärgert habe. Die Ausgewogenheit der Berichterstattung muss sich nicht im einzelnen Magazin zeigen, sondern in der Vielfalt der unterschiedlichen Magazine und Schwerpunktsetzungen. Ich werde immer dafür streiten, dass sich die Politik nicht in die redaktionelle Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einmischt. Auch wenn es solche Fälle ja schon gegeben hat, in denen sich Rundfunkräte, die ja parteipolitisch zuzuordnen sind, öffentlich eingeschaltet haben. So hatte jüngst ein WDR-Rundfunkrat und ehemaliger SPD-Minister gefordert, Schauspieler, die sich bei #allesdichtmachen engagiert haben, nicht mehr zu besetzen. Ich war von politischen Aktivitäten eines Rundfunkrats selbst betroffen, als eine Sendung von „Hart aber fair“, in der über Gender und Frauenrechte diskutiert worden ist, aufgrund der Intervention im Rundfunkrat, zeitweise aus der Mediathek entfernt wurde. Das sind gefährliche Tendenzen, aber zum Glück Einzelfälle.

 

Für die Forderung im FDP-Parteiprogramm gab es heftige Kritik seitens öffentlich-rechtlicher Sender.

Öffentlich-rechtliche Medien sind nicht sakrosankt. Sie kritisieren sehr viel, nicht immer fair, und müssen auch deshalb akzeptieren, selbst kritisiert zu werden. Die Beitragszahler müssen ein Recht haben, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine offene Debatte zu führen und einiges auch infrage zu stellen. Dazu gehört auch die Frage, wie die Sender effektiver arbeiten können.  

 

Aber warum sollten allgemeine Formulierungen wie „auf die Kernaufgaben konzentrieren“, die öffentlich-rechtlichen Sender zu einem Umdenken veranlassen?

Das erfordert eine breite öffentliche Debatte und öffentlichen Druck. Warum beispielsweise benötigt unsere Gesellschaft 20 verschiedene TV-Programme oder rund 70 Hörfunksender? Muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Inhalte immer mehr über soziale Medien verbreiten, wo er aufgrund seiner Marktmacht private Angebote verdrängt? ARD, ZDF und Deutschlandradio können in einem sich wandelnden Medienangebot nur dann weiterhin Akzeptanz finden, wenn sie offen mit ihren Beitragszahlern darüber diskutieren, was verbessert werden könnte. Alleine sich die Frage zu stellen, ob die Intendantengehälter in ihrer Höhe angemessen sind, wäre sicher symbolisch, würde aber die Ernsthaftigkeit eines Veränderungswillens glaubhafter machen als die ständige Abwehr von Kritik. Anstelle immer wieder auf den Verfassungsauftrag zu verweisen, sollte der Beitrag für die Gesellschaft mehr hinterfragt werden.

 

An welchen Zeithorizont denken Sie bei dieser Strukturreform?

Wenn sich die politischen Entscheidungsträger in den Länderparlamenten einig wären, könnte es sehr schnell gehen. Die aktuelle Debatte in den Ländern über eine Strukturreform war ja zum Stillstand gekommen und wurde erst wieder aufgenommen, als der Landtag von Sachsen-Anhalt der Beitragserhöhung nicht zugestimmt hatte. Umgehend war auch aus den Anstalten zu hören, dass man Strukturen verändern oder Personal abbauen müsse. Leider fallen in den Sendern erst dann konkrete Entscheidungen, weil sie sparen müssen und nicht, weil sie sparen wollen. Zu den drängenden Themen gehört für mich auch die Werbefinanzierung, wo ARD und ZDF mit den privaten Rundfunkveranstaltern und Zeitungen konkurrieren, die in der Corona-Pandemie hier erhebliche Verluste haben.

 

Die Werbung bei ARD und ZDF wollten die Länder schon vor Jahren abschaffen und sind an der KEF gescheitert, weil dann der finanzielle Bedarf nicht gedeckt sei.

Der Bedarf ist aber nur deshalb nicht gedeckt, weil man glaubt, dass das überdimensionierte Senderangebot, die teilweise Doppelversorgung und die uneffektiven Strukturen, so bleiben müssen. Allein wenn man sich die Altersversorgung bei Festangestellten ansieht, wird der Veränderungsbedarf deutlich. Einige Berichte der Rechnungshöfe warnen davor, dass durch diese unverhältnismäßig hohen Leistungen die Programmvielfalt gefährdet ist. Es ist eher unwahrscheinlich, dass der Beitragszahler bereit ist, um diese hohen Renten zu finanzieren, eine Beitragserhöhung zu akzeptieren.

 

Wie setzen Sie die Prioritäten? Was sollte zuerst verändert werden?

Zuerst muss die Frage gestellt werden, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei Leistungssport wie Fußball weiterhin mit den privaten Veranstaltern in einen Wettbewerb treten und riesige Summen für diese Rechte ausgeben muss. Natürlich gehört die Sportberichterstattung zum öffentlich-rechtlichen Angebot, aber muss das die Fußballweltmeisterschaft für zig Millionen Euro sein? Der Aufwand für die öffentlich-rechtlichen Sender wird, allein durch die Digitalisierung, weiter steigen, aber die Bereitschaft der Bevölkerung dafür einen höheren Beitrag zu leisten, wird abnehmen. Deshalb muss man kritischer als bisher fragen, was durch private Veranstalter nicht zu ersetzen ist und was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzigartig macht. So sollten die Sender mehr zur staatsbürgerlichen Bildung beitragen und mit modernen Mitteln das Funktionieren unseres demokratischen Staates darstellen und auch deren Perspektiven aufzeigen. Denn der Auftrag lautet nicht nur zu informieren, sondern Bildung zu vermitteln und das wird, trotz neuer Wissenschaftssendungen, nur unzureichend umgesetzt.

 

Die Länder debattieren gerade über eine Strukturreform und eine Veränderung der Aufgaben und setzen dabei vor allem auf eine Plattformstrategie. Was halten Sie von diesem Konzept?

Eine technische Dienstleistung, die den Zuschauern einen größeren Nutzen bringt, gemeinsam zu entwickeln und auszuführen, wie bei der Mediathek, müsste eigentlich zur DNA des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehören. Deshalb finde ich es längst überfällig. Wenn es aber um eine Vereinheitlichung bei der Programmgestaltung geht, halte ich es für falsch. ARD und ZDF hatten früher verschiedene Magazine mit einer unterschiedlichen politischen Färbung. So gab es nicht nur „Panorama“ oder „Monitor“, sondern auch das „ZDF-Magazin“ mit Gerhard Löwenthal. Eine solche inhaltliche Breite ist in den beiden Hauptprogrammen nicht mehr zu erleben, dafür sind immer mehr Spartenprogramme entstanden, die auch durch die Mediatheken ihre Berechtigung eingebüßt haben. Man könnte also problemlos Angebote „abschichten“ und bündeln.

 

Sie fordern einen „moderneren“ öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Bedeutet das, dass seine Angebote noch stärker als bisher im Internet zu finden sein sollen und er die digitalen Angebote schneller ausbaut?

Die weitere Digitalisierung ist auf der einen Seite unumgänglich, um auch künftig möglichst viele Bürger zu erreichen. Auf der anderen Seite verdrängen sie damit aber private Angebote. Deshalb muss dieser Ausbau mit Augenmaß und ohne Expansion erfolgen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk besitzt laut Verfassungsgericht eine Entwicklungsgarantie und deshalb muss er sich dem wandelnden Mediennutzungsverhalten auch anpassen können.

Ich halte es für ein Problem, dass Jugendliche kaum noch öffentlich-rechtliche Programme nutzen, da wir einigermaßen sicher sein können, dass deren Informationen im Gegensatz zu den aus anderen Internetmedien nicht auf Fake News basieren. Angesichts der Flut unwahrer Informationen besitzen die öffentlich-rechtlichen Sender eine Art Clearing-Funktion. Es ist für unsere Gesellschaft auch künftig wichtig, nicht nur Informationen von Medien zu erhalten, die unter privater Kontrolle stehen. Deshalb besitzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch in einer sich weiter verändernden Medienwelt eine wichtige Funktion. Doch er hat dafür nicht nur Verfassungsrechte, wie von Intendantinnen und Intendanten immer wieder betont wird, sondern auch einen Verfassungsauftrag, der nicht darin besteht, möglichst hohe Einschaltquoten zu erreichen.