Wolfgang Kubicki

Interview mit den Kieler Nachrichten: Wer wird der nächste Bundeskanzler, Wolfgang Kubicki?

Herr Kubicki, wann können wir wieder ein normales Leben leben?

Mit Sicherheit nicht vor Ende 2021. Das Virus wird leider nicht verschwinden, selbst wenn wir Herdenimmunität haben. Es ist politische Aufgabe, den am intensivsten betroffenen Gruppen, nämlich den Menschen ab 60, insbesondere ab 70, zu erklären, dass sie FFP2-Masken tragen sollten, wenn sie auf die Straße gehen und Menschen treffen. Wir müssen Lüftungskonzepte umsetzen, sowohl für Schulen als auch Büroräume, Restaurants und Gaststätten. Wir müssen auch zusehen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln entweder durch UV-Filter oder durch bessere Lüftungskonzepte die Infektionswahrscheinlichkeit zu verringern. Da kommt noch viel Arbeit auf uns zu.

 

Über kurz oder lang werden wir die Masken also nicht los?

Ich befürchte, dass wir mit erheblichen Einschränkungen noch übers Jahr hinweg leben müssen, denn eins kann man sicher sagen: Die Menschen in den Lockdown zu schicken, nach drei Wochen wieder raus und drei Wochen später wieder hinein, wie es in Spanien und Frankreich gemacht wurde, hält weder eine Gesellschaft mental aus, noch ist es gut für die Wirtschaft. Deshalb brauchen wir Strategien, mit dem Virus leben zu lernen.

 

Ihre Fraktion hatte es in diesem Jahr schwer, sich im Kieler Landtag gegen CDU und Grüne durchzusetzen. Mitunter schien es, als wären Sie in der Opposition. Geht Daniel Günther mit dem Lockdown zu locker um?

Nein. Wir diskutieren das sehr intensiv, und das ist die Voraussetzung dafür, dass es zu vernünftigen Entscheidungen kommt. Aber auch in der Pandemie gilt das Grundgesetz, deshalb müssen alle Maßnahmen angemessen, erforderlich und vor allem verhältnismäßig sein. Ich glaube, dass Daniel Günther und die Koalition die Sache gut managen. Das erklärt auch, warum wir in Schleswig-Holstein vergleichsweise geringere Werte haben als anderswo. Das kann man nicht nur mit der besseren Luft und der Lage im Norden erklären.

 

Man nennt Sie auch das Orakel von Strande. Die CDU will im Januar einen neuen Chef wählen. Wer wird es?

Aus meiner heutigen Sicht Armin Laschet, weil er insgesamt den größten Rückhalt innerhalb der Union hat. Geplant ist ein digitaler Parteitag, man kann nur wie am Fernsehschirm seine Rede halten. Es gibt kein Geraune, es gibt keinen Applaus. Wer den Parteitag mit einer schwungvollen Rede begeistern will, wird es schwer haben.

 

Fänden Sie die Personalentscheidung Laschet gut?

Mir wäre Friedrich Merz lieber. Mit ihm würden wir uns wieder um Fragen kümmern, die nach Corona wichtig werden: Wie erhalten wir unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, wie kann Deutschland an der Spitze bleiben in der Welt? Und wie können wir nicht nur über Digitalisierung reden, sondern sie auch umsetzen? Wir sind elf Monate in der Pandemie, und unsere Gesundheitsämter sind noch immer nicht digital vernetzt. Das ist doch peinlich ohne Ende!

 

Und wer wird Bundeskanzler?

Ich glaube nicht, dass es Markus Söder wird. In allem Ernst: Wer diese Inzidenzwerte hat, aber so breitbeinig auftritt, der sollte sich erstmal um Bayern kümmern und dann erst um den Rest der Republik. Da die Distanz zwischen der Union zu den anderen Parteien so groß ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass es jemand anderes wird als Armin Laschet.

 

Nominieren die Grünen Robert Habeck oder Annalena Baerbock?

Wenn sie schlau sind, keinen. Bei 16 bis 19 Prozent wird das von den Menschen als anmaßend empfunden. Peinlich genug, dass die SPD mit 16 Prozent einen Kanzlerkandidaten nominiert. Aber das ist nicht mein Problem. Sollte es einer werden, dann wird es Annalena Baerbock. Ihr Standing ist innerhalb der Grünen, und darauf kommt es ja an, immer noch höher als das von Habeck.

 

Auch bei Ihnen?

Sie tritt frech auf, das gefällt mir. Sie ist extrem fleißig und ist erkennbar staatstragender geworden. Ich traue ihr das mehr zu als Robert Habeck, den ich persönlich sehr schätze. Aber der entweicht in der Regel, wenn es um konkrete Antworten geht, in philosophische Höhen. Das ist schön, wenn man Bücher schreiben will, aber nicht, wenn man ein Land regieren will.

 

Habeck hat in den vergangenen Monaten also verloren?

In Berlin auf jeden Fall. Das merken Sie auch daran, wie kritisch er inzwischen von den Hauptstadtjournalisten gesehen wird.

 

Im Kieler Landeshaus könnte man sich in SPD-Kreisen inzwischen sehr gut eine Zusammenarbeit mit Ihrer Partei vorstellen. Sie sich auch mit der SPD?

Wir hätten schon früher mit der SPD gekonnt, wenn Ralf Stegner dort nicht sein Unwesen getrieben hätte. Der geht ja nun nach Berlin und ärgert mich wahrscheinlich da wieder.

 

Freuen Sie sich darauf?

Der wird sich wundern. Der wird zunächst in den hinteren Reihen sitzen und deutlich weniger Gelegenheit haben, sich öffentlich zur Schau zu stellen, als im Kieler Landtag. Berlin ist ein anderes Pflaster. Jedenfalls ist es für die Zusammenarbeit zwischen den Freien Demokraten Schleswig-Holstein und der SPD nicht von Nachteil, dass Ralf Stegner nach Berlin geht.

 

Wäre in Kiel eine grüne Ampel denkbar?

Denkbar ist alles, außer eine Zusammenarbeit mit der AfD. Aber es wäre extrem schwer. Das liegt auch daran, dass das Binnenverhältnis zwischen Sozialdemokraten und Grünen ziemlich gestört ist. Es ist gut möglich, dass sich die Grünen bei der Alternative zwischen Jamaika und einer Ampel für die Ampel entscheiden würden – selbst wenn sie den Ministerpräsidenten stellen könnten.

 

Wen soll die FDP zur Landtagswahl als Spitzenkandidaten aufstellen?

Meiner Meinung nach Bernd Buchholz. Er ist eine ausdrucksstarke Persönlichkeit und weist extrem hohe Wirtschaftskompetenz auf. Das ist etwas, was das Land in den nächsten Jahren dringend braucht. Bernd Buchholz kann in Wahlkämpfen viele Menschen gewinnen.

 

Warum wird es nicht Gesundheitsminister Heiner Garg? Der ist immerhin Ihr Landesparteichef?

Die Rollenverteilung ist so, wie sie ist. Bernd Buchholz steht für den zentralen Kompetenzbereich der FDP: Wirtschaft und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Heiner Garg hat in der Pandemie dokumentiert, dass er ein guter Sozial- und Gesundheitsminister ist. Aber über diese Frage allein wird die Wahl nicht entschieden, sondern über die Stärkung unserer ökonomischen Leistungsfähigkeit.

 

Wo muss die FDP ihr Profil schärfen, um zur Landtagswahl zu punkten?

Wir sind stark im Bereich Wirtschaft und Gesundheitsschutz. Was noch wichtig werden wird, ist die Bildungsfrage. In Deutschland hinken wir Jahre hinterher, was die Möglichkeit von digitalem Unterricht angeht. Und es geht um finanzpolitische Solidität. Das ist zwar kein Gewinnerthema, aber wichtig für die Überlebensfähigkeit unseres Gemeinwesens.

 

Sie haben vor einiger Zeit mal die Sorge geäußert, dass Ihnen Berlin nicht gut bekommen würde. Bislang machen Sie einen stabilen Eindruck. Täuscht das?

Das täuscht nicht. Mein Arbeitstag beginnt in Sitzungswochen morgens um 7.30 Uhr und endet selten vor 23 Uhr. Ich kenne in Berlin außer dem Reichstag, sechs Restaurants, meinem Heimweg und meinem Zuhause nichts.

 

Kandidieren Sie im nächsten Jahr noch einmal?

Ja, so ist der Plan: noch einmal zu kandidieren, noch einmal Vizepräsident der Deutschen Bundestags zu werden und 2022 mit meinen Parteifreunden dazu beizutragen, dass wir in Schleswig-Holstein wieder ein zweistelliges Ergebnis erreichen. Und dann schleiche ich mich langsam, aber sicher nicht nur aus meiner Kanzlei heraus, sondern auch aus politischen Aktivitäten. Auch wenn ich nie ganz ruhig sein werde. Die Landespartei ist sehr gut aufgestellt mit Heiner Garg, Bernd Buchholz, Christopher Vogt, Annabell Krämer, Oliver Kumbartzky, Christine Aschenberg-Dugnus und Gyde Jensen. Da mache ich mir keine Sorgen.

 

Wann ist also Schluss?

Mit Ende der nächsten Legislatur, also 2025.

 

Das Gespräch führte Christian Hiersemenzel.