Im Kampf gegen „Rechts“ drohen manche zu überziehen
Es bedarf sicherlich keiner hellseherischen Kraft, um die Prognose zu wagen: 2024 wird ein herausforderndes Jahr für unsere demokratische Grundordnung. Die aktuellen Umfragewerte lassen nichts Gutes für die anstehende Europawahl sowie für die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen erahnen. Zwar nutzen viele Zehntausend Menschen ihr Demonstrationsrecht und gehen auf die Straße, um auf dem Boden der Verfassung Zeichen zu setzen. Ob dies schließlich zu demokratischen Ergebnissen führen wird, die weniger beunruhigend werden, ist allerdings fraglich. Denn das eigentliche Problem wird selbst mit solchen Symbolen nicht beseitigt.
Die derzeitige Stärke des rechten politischen Randes resultiert vor allem aus der Schwäche der politischen Mitte. Es ist in den vergangenen Jahren eine politische Repräsentationslücke entstanden, weil „die“ Politik mutmaßlich immer selbstreferentieller geworden ist. Es ging insbesondere bei den großen Problemlagen der jüngsten Vergangenheit weniger um das Bemühen um einen Interessensausgleich zwischen unterschiedlichen Verbänden, Klientelen und Wählergruppen. Eher ging es um die Durchsetzung der Erwartungen einer Gruppe, von der die jeweiligen Entscheidungsträger glaubten, ihre Zustimmung sei für das eigene politische (Über-)Leben notwendig. Anders ist nicht zu erklären, dass gesellschaftliche Mehrheiten in großen und kleinen Fragen wie dem Atomausstieg, der Migrationspolitik oder auch beim Selbstbestimmungsgesetz sowie dem Gendern in der Verwaltungssprache keine Rolle spielen. Der mündige Bürger ist als politischer Referenzpunkt offenbar obsolet geworden.
Wer die Abwendung großer Teile der Wählerschaft von der demokratischen Mitte beklagt, der versucht das eigene Versagen zu kaschieren. Manche politischen Kräfte versuchen dabei sogar noch, sich zugleich selbst als Kämpfer gegen „Rechts“ zu stilisieren. Denn wer erklärt, mit den „Nazis“ geht es euch schlecht, der muss irgendwann die Kommunikationsstrategie ändern, wenn die Menschen merken, es geht ihnen auch so schlecht. Dann wird die „richtige Haltung“ zur letzten Bastion der politischen Antworten. Man erklärt also sinngemäß: Wir sind besser, weil wir besser sind. Ob das in der Breite überzeugend ist, mag jeder für sich selbst beantworten.
In diesem Zusammenhang ist es einerseits rührend, andererseits merkwürdig, wenn Friedrich Merz zum Beispiel erklärt, wir müssten die AfD inhaltlich stellen. Zum einen schauen wir offenbar immer noch weiter wie das Kaninchen auf die Schlange, anstatt mit eigenen politischen Entwürfen selbstbewusst für ein besseres Deutschland zu werben. Zum anderen kommen wir mit dieser Strategie Jahre zu spät. Wenn die AfD in Berlin nur noch plakatieren muss: „Jetzt AfD“, dann ist der Protest bereits das Programm. Wir wären dumm, auf diesem Weg einfach weiterzumachen, anstatt endlich wieder unsere eigentliche demokratische Aufgabe zu erfüllen: das Zuhören, Abwägen der unterschiedlichen Interessen, Lösungen erarbeiten und anbieten – Lösungen, die die übergroße Mehrheit der Menschen zumindest nachvollziehen kann.
Der Gipfel der Hilflosigkeit sind allerdings die immer lauter werdenden Rufe nach Parteiverboten und dem Entzug von Grundrechten. Und hier wird es gefährlich, denn manche Demokraten drohen undemokratisch zu überziehen und selbst den Boden der Verfassung zu verlassen.
Eine Verwirkung der Grundrechte nach Artikel 18 des Grundgesetzes hat es noch nie gegeben. Interessant ist dabei im Übrigen, dass dieses scharfe Schwert unserer Verfassung weder bei dem mutmaßlichen Reichsbürgeraufstand in der öffentlichen Diskussion war, noch bei Deutschen, die hierzulande die Errichtung eines Kalifates durchsetzen wollten. Es wirkt sehr schwach, mindestens jedoch seltsam, wenn ausgerechnet jetzt bei Björn Höcke, bei dem ernsthaft zu besorgen ist, auf demokratischem Wege zu einem Erfolg der Rechtspopulisten beizutragen, diese Forderung in den Raum zu werfen. Abgesehen davon kann Karlsruhe zwar eine Grundrechtsverwirkung bejahen, nicht aber für solche Rechte, die sich aus Landesverfassungen oder der Europäischen Menschenrechtskonvention ableiten lassen. Was wäre also gewonnen, wenn wir politische Kontrahenten, die wir nicht mittels unserer Überzeugungskraft überwinden, sondern nur durch eine solche Maßnahme, die nicht einmal für Mörder vorgesehen ist, nur scheinbar aus dem Feld schlagen? Bestärken wir damit nicht den Opfermythos? Geben wir nicht denjenigen heimlich Recht, die behaupten, gegen „Rechts“ ist eigentlich jedes Mittel recht?
In diesem Zusammenhang warne ich davor, bei Extremisten je nach Laune Rabatte zu geben. Wenn auf Anti-AfD-Demos auch linksextremistische Kräfte mitgelaufen sind, wofür nach Presseberichten einiges spricht, erwarte ich von denjenigen Demokraten, die mit großer Emphase vor einer angeblichen rechtsextremistischen Unterwanderung der Bauernproteste gewarnt haben, hier mit der gleichen Inbrunst zu sprechen. Entweder geht es um die gemeinsame Verteidigung der Demokratie durch alle Demokraten, dann gegen jede Form des Extremismus, oder es geht um die eigene politische Zielstellung – für deren Durchsetzung die anderen Extremisten nützlich sind. Dann sollte man sein eigenes Tun aber nicht als Kampf um die Demokratie heroisieren.
Wir dürfen den Streit um die richtige Haltung nicht verwechseln mit dem Streit um die bessere Problemlösung. Demokraten tun deshalb gut daran, auf bestimmte rhetorische Hülsen zu verzichten: Für „Zeichen setzen“ wurden politische Entscheidungsträger nicht gewählt. Parteiverbote ersetzen keine Politik. Forderungen nach einem demokratischen „Unterhaken“ klingen nach einem Gleichschritt, der in einer pluralen Demokratie so nicht vorgesehen ist. Im NPD-Urteil von 2017 erklärte das Bundesverfassungsgericht nämlich:
„Das Grundgesetz geht davon aus, dass nur die ständige geistige Auseinandersetzung zwischen den einander begegnenden sozialen Kräften und Interessen, den politischen Ideen und damit auch den sie vertretenden Parteien der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist. Es vertraut auf die Kraft dieser Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.“
Demokraten sind im Streit verbunden. Streit lässt die Demokratie leben. Mangelnde Auseinandersetzung und der Rückzug auf „Haltung“ bringt sie in Gefahr