Wolfgang Kubicki

Gastkommentar für die Fuldaer Zeitung: Kubicki kritisiert Einschränkungen für Ungeimpfte

Seit einigen Monaten steht der sprichwörtliche Elefant im Raum – nämlich die Beantwortung der Frage, welche Kriterien erfüllt werden müssen, damit sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie fallen. Die Bundesregierung vermeidet hierzu auch auf parlamentarische Nachfrage mittlerweile jegliche Positionierung. Im Frühjahr war Kanzleramtsminister Helge Braun noch etwas mutiger, als er sehr eindeutig sagte: „Diejenigen, die ihr Impfangebot nicht wahrnehmen, treffen ihre individuelle Entscheidung, dass sie das Erkrankungsrisiko akzeptieren. Danach können wir aber keine Grundrechtseinschränkung eines anderen mehr rechtfertigen.“

Auch der Ethikrat hat in einer ziemlich unterschätzten Stellungnahme im Februar dieses Jahres deutlich gemacht, dass Grundrechte – auch von Ungeimpften – nicht dauerhaft staatlichen Einschränkungen unterliegen dürften. Er erklärte: „Mit dem Fortschreiten des Impfprogramms sollen die allgemeinen staatlichen Freiheitsbeschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger schrittweise zurückgenommen werden. Als Maßstab für die Rücknahme dieser Beschränkungen sind dabei primär die Hospitalisierungszahlen bzw. die Zahlen schwerer Krankheitsverläufe und Todesfälle heranzuziehen, nicht hingegen die reinen Infektionszahlen.“

Wir haben jedoch im Laufe der Pandemie schmerzhaft erfahren müssen, dass sich die Bundesregierung im Zweifel wenig darum kümmert, was sie noch kurz zuvor im Brustton der Überzeugung versprochen hat. Und wir mussten erleben, dass Expertengremien meist nur dann gefolgt wurde, wenn diese ein härteres politisches Vorgehen und mehr Grundrechtsbeschränkungen forderten.

Es war klar, dass es mit Beginn der Impfkampagne für eine gewisse Zeit zu Ungleichheiten, zu Ungerechtigkeiten zwischen Immunisierten einerseits und Ungeimpften andererseits kommen würde. Aus verfassungsrechtlicher Sicht waren gewisse Einschränkungen von Geimpften und Genesenen nicht zu rechtfertigen, weil sie nicht mehr signifikant zum Infektionsgeschehen beitrugen. Genauso klar war aber: Die hiermit einhergehende Zurücksetzung von Ungeimpften darf nicht dauerhaft sein. Es muss aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Ende der Maßnahmen für alle in Aussicht stehen. Von diesem Grundsatz rückte Helge Braun jetzt ab, als er einer grundrechtlichen Benachteiligung von Ungeimpften – ohne zeitlichen Horizont! – das Wort redete.

Auch wenn der Bundesgesundheitsminister im Deutschen Bundestag pathetisch sein Wort gibt, oder auch die Bundeskanzlerin noch vor wenigen Tagen treuherzig verkündet, dass es keine Impfpflicht geben werde, führen Brauns Pläne faktisch genau dazu. Es ist für unsere Gesellschaft eine Belastung, dass diejenigen, die sich auf dieses große Versprechen der Bundesregierung verlassen haben, plötzlich mit dem Segen des Kanzleramtes stigmatisiert werden – weil sie sich bei einer angeblich „freien“ Entscheidung falsch entschieden haben.

Ich persönlich halte eine Impfung für vernünftig, muss in einem freiheitlichen Gemeinwesen aber akzeptieren, dass Menschen dies anders sehen und für sich eine andere Entscheidung treffen. Diesen Menschen muss der Staat ebenfalls zur Seite stehen, er darf sie nicht aktiv ausgrenzen. Sie übernehmen selbst die Verantwortung für ihre Gesundheit – wie übrigens auch diejenigen, die sich impfen lassen.