Wolfgang Kubicki

Gastbeitrag in der Fuldaer Zeitung: "Es ist Zeit für ein Ende des Ausnahmezustands"

„Man kann die Diskussion um die anstehende Verlängerung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ nicht isoliert vom neuesten Maskenskandal um Jens Spahn und sein Bundesgesundheitsministerium führen. Die Vorwürfe, Jens Spahn und sein Haus hätten halbherzig geprüfte Ausschussware, von der er ausgehen musste, dass sie nicht den nötigen Anforderungen entspricht, erst an Menschen mit Behinderung, Obdachlose und Bedürftige verteilen und später dann in der nationalen Notreserve verschwinden lassen wollen, sind gravierend.

Aus allen politischen Lagern abseits der Union zeigen sich zurecht empörte Reaktionen. Umso unverständlicher ist es, dass Sozialdemokraten und Grüne weiter für die Verlängerung der epidemischen Lage nationaler Tragweite stimmen wollen. Denn die Grundlage solcher Vorgänge liegt auch in der Systematik dieses Rechtsinstruments, dass als Ausnahmemaßnahme angekündigt wurde, und nun schon seit deutlich über einem Jahr gilt.

Weit mehr als 1.000 Paragraphen werden während einer epidemischen Lage nationaler Tragweite durch den Verordnungsgeber verdrängt. Auch wenn in Deutschland seit jeher eine gewisse Regulierungswut herrscht, darf man davon ausgehen, dass doch ein großer Teil dieser Vorschriften einen tieferen Sinn haben. Beispielsweise, was die Sicherheit von Schutzausrüstung und Medizinprodukten angeht. Dass Jens Spahn sich über so viele Dinge einfach hinwegsetzen kann, ermöglicht überhaupt erst Vorgänge, wie sie jetzt im Raum stehen.

Es gab immer Politiker, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren oder deren moralischer Kompass abhandengekommen ist. In einem demokratischen Rechtsstaat ist das kein Weltuntergang, sondern durch ein System gegenseitiger Kontrolle und formalisierter Verfahren ist abgesichert, dass solche Dinge zum einen über kurz oder lang ans Licht kommen und zum anderen rechtzeitig eingeschritten werden kann. Eine gesunde Demokratie ist ein sich selbst schützendes System. Darum ist und bleibt es hochproblematisch, wenn ein vorübergehend notwendigerer Kompetenzzuwachs zur dauerhaften faktischen Außerkraftsetzung vom Parlament beschlossener (!) gesetzlicher Vorschriften führt.

Mit der Perpetuierung des Ausnahmezustandes hat die Große Koalition zudem viel Vertrauen in der Bevölkerung verspielt, denn trotz erheblich ausgeweiteter Kompetenzen und Milliarden von Euro, die ausgegeben wurden, ist das Management der Krise katastrophal. Umso wichtiger, dass angesichts fallender Infektionszahlen und großem Impffortschritt die Feststellung nicht einfach verlängert wird, als sei nichts passiert. Die Beendigung der epidemischen Lage nationaler Tragweite muss jetzt das Zeichen für das Ende des Ausnahmezustandes sein. Die Bundesregierung hat versprochen, bis zum Ende des Sommers die Impfkampagne zum Erfolg geführt zu haben. Die verfassungsrechtliche Legitimation für die Grundrechtseingriffe entfällt auch deswegen jeden Tag ein Stück mehr. Die vorübergehend weiter notwendigen Maßnahmen, wie beispielsweise gewisse Abstands- und Hygieneregeln, lassen sich auch außerhalb der epidemischen Lage nationaler Tragweite organisieren.

Es spricht nichts für die Verlängerung, aber sehr viel dagegen.“