Wolfgang Kubicki

Probleme benennen ist nicht „rechts“

Foto Tobias Koch

Ich habe mich mit Blick auf die grünen Koalitionspartner schon häufiger gefragt: Wie hält man diese kognitive Dissonanz eigentlich aus? Wenn man das hohe Lied der CO2-Vermeidung singt, während man gleichzeitig Atomkraftwerke abschaltet, um auf die Braunkohleverstromung zu setzen. Wenn man das Wort der Weltoffenheit wie eine Monstranz vor sich herträgt, aber Abweichungen von der eigenen Meinung oft als „rechts“ abqualifiziert. Oder – und damit kommen wir zum Thema – wenn man Freiheits-, Frauen- und Schwulenrechte lautstark gegen eine vermeintlich feindliche Kultur der „alten weißen Männer“ verteidigt, aber peinlich schweigt, wenn Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen in genau diesen Bereichen für erhebliche Probleme sorgen.

Beginnen wir mit Beispielen: Erst vor ein paar Tagen kursierte ein Bericht über ein homosexuelles Paar, das wegen wiederholter homophober Attacken den heimischen Berliner Stadtteil Neukölln verlassen will. In der Regel, so stellten es die Opfer dar, hätten die Angreifer einen arabischen Migrationshintergrund.

In Bonn wurden Schülerinnen eines Gymnasiums vor allem von muslimischen Schülern drangsaliert. Die Mädchen hätten, so der Vorwurf, die strengen Kleidervorschriften im Sport oder auf dem Schulhof nicht eingehalten. Eine betroffene Jugendliche habe Berichten zufolge bereits die Schule gewechselt.

Nach einer Studie der Technischen Uni Berlin sind antisemitische Einstellungen bei einem Teil der Migranten weitverbreitet. Fast jeder zweite Muslim in Deutschland stimmt so zum Beispiel der Aussage zu, Juden hätten zu viel Macht in der Politik. Bei den Nicht-Muslimen waren lediglich 18 Prozent dieser Auffassung.

Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass in unserem Land Unterdrückung von und Gewalt gegen Frauen, Antisemitismus und Homophobie keinen Platz haben. In einigen Ländern, aus denen viele Flüchtlinge der vergangenen Jahre stammen, ist dies keine Selbstverständlichkeit. Dass Menschen ihre Prägung, ihre traumatischen Erfahrungen und Konflikte grundsätzlich nicht an den Landesgrenzen ablegen konnten, sondern mit in unser Land genommen haben, liegt auf der Hand. Aber, das gehört zur Wahrheit dazu, sie wurden auch bei der Integration nicht ausreichend politisch-administrativ flankiert. Wenn nach Auskunft mehrerer Kommunen zum Teil rund ein Viertel der Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften bereits 2015 – also vor acht Jahren – nach Deutschland gekommen ist, dann kann man das nicht mehr schönreden. Dann ist die Integration gescheitert. Wohin soll denn auch integriert werden, wenn sich die Lebenswirklichkeit der Menschen fast ein Jahrzehnt fernab der Allgemeinheit abspielt?

Unter Kanzlerin Merkel wurde die Order an den neuinstallierten Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise gegeben, den massiven Bearbeitungsstau der Asylanträge rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2017 aufzulösen. Dass bei dieser Hauruck-Aktion laut Bamf-Personalrat über das Grundrecht auf Asyl „wie am Fließband entschieden“ wurde, fällt uns heute vor die Füße. Die Einschleusung von schwersttraumatisierten Personen mit Gefährdungspotenzial, das hastige Durchwinken von Straftätern konnte somit kaum verhindert werden. Die Seehofersche Kritik des „Kontrollverlustes“ lässt sich in der Rückschau leicht bestätigen. Tatsächlich haben wir seit dem Spätsommer 2015 nie die vollständige Kontrolle erlangt, ehrlicherweise wurde hierfür auch kaum etwas getan. Merkels zentraler Satz „Wir schaffen das“ hat sich zur historischen Lebenslüge unserer Migrations- und Integrationspolitik entwickelt. Es wird Zeit, dass sich alle Parteien des demokratischen Spektrums dieser Tatsache stellen.

Mit Symbolpolitik und einem feierlichen Hissen der Regenbogenflagge ist es nicht getan. Wir müssen vielmehr deutlich machen, dass die Bewahrung unserer Freiheitsordnung einhergeht mit einer Wiedererlangung der staatlichen Kontrolle.

Ja, wir brauchen qualifizierte Migration für unseren dürstenden Arbeitsmarkt. Aber: Eine Flüchtlingspolitik der ausgebreiteten Arme, wie sie vor allem Grünen mit Multi-Kulti-Idealismus vorschwebt, wird unser Land überfordern – und sicher zum Schlechteren verändern. Joachim Gauck hatte Recht: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich. Die europäisch orchestrierte Begrenzung des Asyl-Zuzugs ist daher gesellschaftlich dringend geboten.

Und deshalb ist es ebenfalls wichtig, die Mai-Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz zügig umzusetzen. Eine konsequente Abschiebung von Straftätern und Rückführungen nicht-bleibeberechtigter Ausländer hat höchste Priorität. Die Ausweisung der EU-Beitrittskandidaten Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer ist ein weiterer zentraler Mosaikstein, für den Innenministerin Faeser endlich die gesetzliche Grundlage schaffen muss – wie es auf der MPK vereinbart wurde.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2014 zutreffend erklärt, dass es ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gibt, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise 2015 hat die Exekutive in dieser Frage versagt. Es wird Zeit, dass auch die grünen Koalitionspartner begreifen, dass wir diesem Auftrag gerecht werden müssen.

Die Benennung und Bekämpfung der mit der Zuwanderung einhergehenden Probleme sind keine „rechten“ politischen Forderungen, sie sind vielmehr rechtsstaatlich geboten. Sie dienen der Wahrung unserer Freiheit.